Erkenntnis. IV Band (1934) Heft 1.


Einige grundlegende Tatsachen der Worttheorie nebst Bemerkungen über die sogenannten unvollständigen Symbole


Von Aarni Penttilä (Helsinki) und Uuno Saarnio (Turku)


1. In der heutigen Logik und besonders in der Logistik des Wiener Kreises der wissenschaftlichen Weltauffassung ist die Wichtigkeit der sogenannten Sprachanalyse vielmals energisch betont worden. Diese die Sprache betreffende Auffassung lautet sogar in einer ihrer prägnantesten Formulierungen: „eine philosophische, d. h. logische Untersuchung ist Analyse der Sprache" (z. B. bei C a r n a p, Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft, Erkenntnis II, S. 435). Da die Sprache hierdurch eine außerordentlich wichtige Stellung in der philosophischen Forschung erlangt, ist es vielleicht ausreichend motiviert, die Sprache einer Untersuchung zu unterziehen wie wir sie bisher in der linguistischen und philosophischen Literatur nicht angetroffen haben. Besonders haben wir uns bemüht klarzulegen, was man mit einem Wort meinen kann und wie eine brauchbare Definition der Sprache lauten muß.

2. Die Feststellung, daß es viele Sprachen (z. B. Englisch, Französisch, Deutsch usw.) gibt, liegt zwar auf der Hand, ist aber überhaupt nicht von größerer Wichtigkeit. Von unserem Standpunkt aus ist es ziemlich irrelevant, daß man eine große Menge sprachlicher Symbole konstatieren kann, die meistens einer geographischen Teilung und einem lokalen Prinzip folgend zusammen sogenannte verschiedene Sprachen bilden. Prinzipiell Verschiedenes oder Neues oder Beachtenswertes haben sie gar nicht zu bieten. Was wir im folgenden zu berichten haben, trifft auf jede der in dieser Hinsicht verschiedenen Sprachen zu.

3. Ebenso ist es bekannt, daß die Vielheit der Sprachen dadurch vermehrt wird, daß es eine Vielheit der gebrauchten sprachlichen Mittel gibt. Auf Grund dieses Einteilungsprinzips erhalten wir wenigstens

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drei verschiedene Spracharten: die Gefühlssprachen (also die Sprachen, die sich auf den Tastsinn beziehen), die Gesichtssprachen (die sich auf den Gesichtssinn beziehen) und die Gehörsprachen (die sich auf den Gehörsinn beziehen)1). Prinzipiell weichen auch diese kaum voneinander ab. Wir können bemerken, daß es für uns hier nicht von Interesse ist, was für Mittel als sogenannte sprachliche Mittel gebraucht werden.

4. Hauptsächlich nur der Deutlichkeit halber wählen wir aber vorläufig eine bestimmte Sprache zum Gegenstand unserer Untersuchungen, und zwar die Gesichtssprache (z. B. die gewöhnliche deutsche Schrift). Diese unsere Wahl wird nicht nur dadurch bestimmt, daß die geschriebene Sprache — als besonders anschaulich— für unseren Zweck recht passend ist, sondern auch dadurch, daß von allen möglichen Sprachen die ,geschriebene Sprache' neben der ,gesprochenen Sprache', die zu den Gehörsprachen gehört, und die gewöhnlich einfach mit dem Worte Sprache bezeichnet wird, die größte praktische Bedeutung besitzt. Hier ist zu bemerken, daß das, was wir zu berichten haben, auf jede andere Sprache mutatis mutandis paßt.

5. Gewöhnlich ist man der Auffassung, daß eben die geschriebene Sprache, die Schrift oder in unserer Terminologie die Graphemsprache, eine ganz besondere Stellung einnimmt und als Sprache sozusagen nicht auf derselben Ebene liegt wie z. B. die gesprochene Sprache (oder in vielleicht geeigneter Terminologie die Phonemsprache) und mit dieser nicht ganz koordiniert werden kann. Die Anschauung ist sehr verbreitet, daß die Graphemsprache neben der Phonemsprache eine Art sekundärer Erscheinung ist, eine Sprache zweiter Hand, wie N o r e e n es ausdrückt (o. c., S. 28). In den meisten Definitionen heißt es ja, daß die Graphemsprache eine Sammlung von Zeichen für die Wörter (sc. für die Bestandteile der Phonemsprache) oder Teile der Wörter (nämlich Silben, Laute) ist, so z. B. bei d e S a u s s u r e, Cours de la linguistique générale, 2. éd., Paris 1922, S. 45, 47 und 48. Graphisch dargestellt sieht diese Auffassung z. B. so aus: , wobei B das Bezeichnete, Ph ein Bestandteil der Phonemsprache (ein Phonem), G ein Bestandteil der Graphemsprache (ein Graphem) ist, und der Pfeil hier gleich mit ,bedeutet' ist. Um eine Klärung in dieser Hinsicht zu erreichen, müssen wir die Frage einer genaueren Untersuchung unterziehen. Die folgenden Er-

1) So bei A. N o r e e n, Einführung in die wissenschaftliche Betrachtung der Sprache, Halle 1923, S. 6ff.

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örterungen können uns vielleicht davon überzeugen, daß die Graphemsprache kein Symbolsystem eines anderen Symbolsystems ist (also keine ,Sprache zweiter Hand'), sondern in allen wichtigen Hinsichten prinzipiell auf derselben Stufe steht wie die Phonemsprache, und daß alles, was im folgenden speziell von der Graphemsprache behauptet wird, auch für die Phonemsprache gilt.

6. Zu der zu behandelnden Frage, die nur von vorbereitender Bedeutung ist, können wir zunächst beiläufig bemerken, daß das, was wir aus der früheren Geschichte der Schrift kennen, die oben genannte übliche Anschauung nicht unbedingt unterstützt. Die gesichtlich frühere Schrift, die sogenannte Bilderschrift, ist augenscheinlich keine Sprache zweiter Hand gewesen, oder m. a. W., ihre Grapheme haben keine Bestandteile der Phonemsprache bezeichnet (z. B. Phonemwörter, -silben), ebensowenig wie z. B. irgendein Glied eines heutzutage in Gebrauch befindlichen optischen Zeichensystems. Die vorzeitliche Bilderschrift mit ihren Zeichen wies direkt auf den zu bezeichnenden Gegenstand oder den zu bezeichnenden Sachverhalt hin, grundsätzlich in derselben Weise wie die neuzeitlichen Wegweiser, die Leuchtturm-Feuer, die roten Bremssignale der Autos, die Noten oder Phrasierungsbogen der Notenschrift u. a. m. Wir können also bemerken, daß die Grapheme der Bilderschrift wenigstens nicht anfangs als sichtbare Zeichen der Phonemwörter oder ihrer Teile gedient haben. Andererseits aber ist es allerdings klar, daß die Tatsache, daß die älteste Geschichte der Schrift die erwähnte allgemeine Meinung nicht ausdrücklich unterstützt, diese durchaus noch nicht unglaubwürdig macht. Die bei den zivilisierten Völkern meistens gebrauchte Schrift hat ja schon seit langem aufgehört, eine Bildersprache zu sein. Ihr Charakter hat sich dann seit jenen Zeiten stark verändert, welchem Umstand natürlich in diesem Zusammenhang einige Bedeutung zukommen dürfte. Beruhte vielleicht die kopernikanische Erfindung, die die Geschichte der Schrift unstreitig mit dem Übergang der Bilderschrift zur Buchstabenschrift aufweist, gerade darauf, daß man Zeichen erfand, mit deren Hilfe man die Namen der Gegenstände an Stelle ihrer selbst bezeichnen könnte, oder m. a. W.: sind wir vielleicht durch diesen Entwicklungsschritt dennoch in eine Situation geraten, in der die Schrift nur eine Sprache zweiter Hand, nur dazu da ist, um das Gesprochene zu symbolisieren?

Nach näherer Erwägung der Umstände können wir dies nicht bejahen.

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7. Die gebräuchliche europäische Graphemsprache enthält viele solcher Zeichen wie „ = % &—? ! und alle Ziffern, die offensichtlich auf der Stufe einer Art von Bilderschrift stehen, und in bezug auf die es leicht einzusehen ist, daß ihre Bedeutung nicht unbedingt ein Bestandteil der Phonemsprache bildet. Jedes von ihnen bezeichnet einen gewissen Gegenstand oder einen gewissen Sachverhalt. Die Gebrauchsdefinitionen für die meisten derselben (oder auf vorwissenschaftlichem Gebiet: ihre Gebrauchssitten) sind dieselben wie für die Phoneme, mit denen diese Grapheme in der Phonemsprache übersetzt werden (z. B. = Deutsch ,gleich', Englisch 'like', Finnisch ,yhtä kuin' usw.). Wenn z. B. die genannten Grapheme nur gewisse Phoneme ,bedeuteten' (z. B. ,gleich'), so wäre wohl im Gegenteil festzustellen, daß die Gebrauchsdefinitionen der genannten Grapheme von den Gebrauchsdefinitionen der genannten Phoneme in jedem einzelnen Fall voneinander abweichen. In bezug auf die erwähnten Grapheme ist also die Stichhaltigkeit unserer Behauptung ohne weitere Schwierigkeiten einleuchtend. Aber in gleicher Lage wie sie befinden sich auch die meisten übrigen Bestandteile der Graphemsprache. Wenn es sich nicht so verhielte, sondern die Grapheme wahrhaftig gewisse bestimmte Bestandteile der Phonemsprache bezeichneten, so würde z. B. das Graphem Tintenfaß jedesmal bei seinem Vorkommen das Phonem Tintenfaß bezeichnen. Dann könnten wir nie—ebensowenig wie irgendein anderer—beim Schreiben ein vor uns auf dem Tisch stehendes Tintenfaß bezeichnen. Wenn Herr X—wir können ihn uns als Rektor einer Schule vorstellen—einen lakonischen Befehl geben will, indem er ein Blatt Papier zum Schuldiener schickt, auf dem das Wort Tintenfaß! geschrieben steht, so würde dies der Anschauung zufolge, der wir hier entgegenzutreten versuchen, einzig und allein bedeuten, daß der Schuldiener ein gewisses Phonem zur Stelle zu schaffen hätte, nämlich das Phonem Tintenfaß. Dies ist eine Unmöglichkeit und steht mit bekannten Tatsachen im Widerspruch. Zumindest ist die Bedeutung des erwähnten Graphems in diesem Fall nicht das Phonem, sondern ein Gegenstand. Ebenso ist auch der Sachverhalt in den meisten sonstigen Fällen. Das Allergewöhnlichste ist, daß Grapheme auftreten, die solche Gegenstände oder Sachverhalte bezeichnen, die keine Phoneme sind (so verhält es sich z. B. beinahe von Anfang bis zu Ende in diesem Text).

8. Die Fälle sind verhältnismäßig selten, in denen die Bedeutungen der Grapheme andere sind, m. a. W. also Phoneme (welchen Fall, wie gesagt, viele Definitionen für den einzig möglichen halten). Trotzdem

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sind natürlich auch sie möglich. Sowohl Grapheme als auch Phoneme gehören also prinzipiell demselben Gegenstandsbereich an, wie z. B. Tintenfaß, Tisch u. a. m., und auch sie können natürlich durch Grapheme Bezeichnetes sein. Zu beachten ist nur, daß Grapheme nur verhältnismässig selten Bestandteile der Phonemsprache bezeichnen. Es gibt eigentlich nur eine Graphemgruppe, die Bestandteile der Phonemsprache öfter als irgend etwas anderes bezeichnet, und diese Graphemgruppe ist das Alphabet. Sonst sind Bestandteile der Phonemsprache als Bedeutung der Graphemsprache meistens nur innerhalb der sprachwissenschaftlichen Literatur anzutreffen. Gewöhnlich wird z. B. der Sprachforscher die Aufzeichnung einer Dialektprobe, bei der oft die phonetische Umschrift benutzt wird, ausdrücklich gerade als sogenanntes Spiegelbild der Aussprache betrachten. Auch hier besteht natürlich die Möglichkeit, daß der Text als Märchen, Erzählung o. ä. gelesen wird, also indem man ihm als Bedeutung die verschiedensten Gegenstände und Sachverhalte unterlegt.

9. Wir sind somit zu dem Resultat gelangt, daß es, ebenso wie es unter den Bedeutungen der Phonemsprache die verschiedensten Gegebenheiten gibt (auch in gewissen Fällen Grapheme oder auch Phoneme), ebenso gut auch unter den Bedeutungen der Graphemsprache ganz verschiedenartige Gegebenheiten gibt, keinesfalls ausschließlich Phoneme, wie oft behauptet wird. Demnach ist es erwiesen, daß die Graphemsprache logisch und linguistisch ebenso unabhängig von anderen Sprachen ist wie die Phonemsprache von der Graphemsprache oder andererseits z. B. das Deutsche vom Englischen. Somit können wir auch sagen, daß das Schreiben beinahe immer (mit Ausnahme von einigen oben genannten, seltenen Fällen) eine Art Übersetzen ist.

10. Dieses Übersetzen geht aber viel leichter vonstatten als z. B. das Übersetzen aus der deutschen Sprache in die englische, welche Sachlage darauf zurückzuführen ist, daß zwischen einigen Phonem- und Graphemsprachen verhältnismässig weitgehende allgemeine Wechselbeziehungen bestehen. Wenn in der Phonemsprache z. B. der Laut k im Wortbeginn auftritt, so weist gewöhnlich—in gewissen Sprachen sogar völlig regelmäßig—das entsprechende Gebilde der Graphemsprache als Anfangsbuchstabe ein k auf. In einigen Sprachgebieten (z. B. im Finnischen) sind diese Wechselbeziehungen sehr einfacher Art, und die sie betreffenden Regeln sind sehr allgemein. In anderen Sprachgebieten wiederum (z. B. im Englischen) weisen diese Wechselbeziehungen verhältnismäßig wenige allgemeine Regeln auf, und in

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diesen Sprachgebieten ist auch dementsprechend das ,Übersetzen' der Phonemsprache in die Graphemsprache, oder m. a. W. das Schreiben sowie besonders dessen vollkommenes Erlernen, viel schwerer. Am allerwenigsten besteht da beim Einfügen in die Form allgemeiner Regeln ein Entsprechen, wo sich eine Art Bilderschrift im Gebrauch befindet (z. B. im Chinesischen)2).

11. Es ist sehr leicht möglich, daß man gegen alles bisher Gesagte den Einwand erheben könnte, daß, obgleich zugegebenermaßen das durch die Graphemsprache Bezeichnete letzten Endes verschiedene Gegenstände und Sachverhalte seien, diese gleichwohl erst mittelbar zu erreichen seien. Tatsächlich und eigentlich bezeichneten die Bestandteile der Graphemsprache Phoneme, aber diese ihrerseits bezeichneten dann diese und jene Gegenstände und Sachverhalte. Auf diese Art erreiche die Graphemsprache erst mittelbar ihr Ziel. Ganz abgesehen davon, daß es in der Graphemsprache Bestandteile gibt, die überhaupt keine Entsprechungen in der Phonemsprache (z.. B. die Klammern) aber doch eine Bedeutung haben, können wir doch, selbst wenn solche Bestandteile gar nicht existierten, jenem Einwand keine sehr große Bedeutung beimessen. Ihn zu widerlegen genügt schon der Umstand, daß die Graphemprache nicht aufhört Graphemsprache zu sein, selbst wenn man sie nicht liest. Jeder ist wohl bereit einzuräumen, daß die alttürkischen Inschriften, die seinerzeit in Sibirien am Lauf des Flusses Orkhon gefunden worden sind, schon Graphemschriften waren, bevor sie der berühmte Sprachforscher Vilhelm Thomsen entzifferte.

Es ist unzweifelhaft wahr, daß man sich vielleicht sogar allgemein beim Benutzen der Graphemsprache des Mittels des Lesens bedient, oder deutlicher gesagt, daß man sie in die Phonemsprache ,übersetzt', und daß unter solchen Umständen zum Verständnis der Graphemsprache gewöhnlich solche psychischen Prozesse gehören, wie sie dem Sprechen eigen sind (vielfach ist ja das Lesen geradezu leises Sprechen). Diese Erlebnisse sind allerdings nicht die einzigen psychischen Phasen in diesem Prozeß, aber dennoch oft die wichtigsten. Trotzdem läßt sich aus dieser Tatsache heraus kein Einwand gegen unsere Behauptung erheben, denn der Kern der Sache liegt darin, daß wir keinesfalls jene seelischen Prozesse, die in Verbindung mit dem Lesen auftreten, zur Bedeutung stempeln können, wie dies z. B. noch sehr häufig in der sprachwissenschaftlichen Literatur geschieht (s. auch z. B. E. W e l l a n d e r, Studien zum Bedeutungswandel im Deutschen I, Upsala I9I7, S. 7: „Die Bedeutung eines Wortes ist die Vorstellung, die ein Individuum mit diesem Worte verbindet."). Wir

2) Die Bilderschrift unterscheidet sich also von der Buchstabenschrift in der Hauptsache nur dadurch, daß bei der ersteren die Wechselbeziehungen zwischen Graphem- und Phonemsprache regellos, bei der letzteren dagegen mehr oder weniger spürbar allgemeinen Regeln unterworfen sind.



Tässä näyte alkuperäisestä sivusta.

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sehen keinerlei Grund dafür, daß man jene psychischen Erlebnisse oder Teile derselben, wie sie z. B. Menschen, die des Lesens mächtig sind, beim Lesen haben, für sogenannte Bedeutungen ansehen sollte. Man muß im Gegenteil unbedingt der Ansicht sein, daß das, was die Grapheme bedeuten, nicht die psychischen Akte sind, in deren Rahmen das Bezeichnen geschieht3).

12. In diesem Zusammenhang müssen wir vielleicht noch der Deutlichkeit halber auf einen gewissen Umstand aufmerksam machen, der mit dem Vorherigen in engem Zusammenhang steht, nämlich darauf, daß es vollkommen klar ist, daß die Graphemsprache nicht die Bedeutungen ihrer Grapheme enthält (ebenso verhält es sich natürlich bei allen nur denkbaren Sprachen). Unmöglich zu denken, daß das Graphem Tisch z. B. auf irgendeine Art seine Bedeutung enthielte, etwa den Schreibtisch, an dem ich sitze. Dieser Umstand ist deshalb besonders bemerkenswert, weil man namentlich in der linguistischen Literatur (zuweilen auch in der philosophischen) Beispiele für eine gegenteilige Auffassung antrifft. Spricht man doch besonders häufig von den zwei Seiten der Wörter: von ihren Zeichenhälften und ihren Bedeutungshälften, die, wie man sagt, eine ,untrennbare Einheit' bilden (z. B. L. W e i ß g e r b e r, Vorschläge zur Methode und Terminologie der Wortforschung, Indogerm. Forsch., Bd. 46, S. 3I2: „Wenn ich nun die zweite Auffassung, daß Wortform und Wortinhalt, also das, was in ungenauer Terminologie als Wort und Bedeutung gefaßt ist, eine untrennbare Verbindung darstellen, daß sie zusammen erst das Wort der Sprache ausmachen, als die allein richtige bezeichne, so. . ."). Natürlich ist es möglich, daß Bedeutung hier anders definiert ist, als wir es jetzt annehmen, aber wir haben wenigstens bis auf weiteres noch keine derartige Definition der Bedeutung gefunden, die eine Wendung der oben erwähnten Art gestattete, ohne zu Sinnlosigkeiten zu führen. Bei diesem Sachverhalt halten wir es für sicher, daß man bei der Analyse des Graphems nichts über die Bedeutung auffinden oder daß man überhaupt nichts bei der Erforschung des Graphems über seine Bedeutung aussagen kann.

13. Wir haben also in diesen Vorbetrachtungen von den Bestandteilen der Graphemsprache—unserer Ansicht nach nicht ohne Grund —einige solche abgesondert, die man vielfach in sie einschließen zu

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3) Der Begriff der Bedeutung wird in den in Vorbereitung befindlichen ,Untersuchungen zur symbolischen Logik', I (Acta philosophica fennica, Fasc.1,1934) von Uuno S a a r n i o eingehender behandelt.

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müssen glaubt, nämlich alle psychischen Akte, die in Verbindung mit dem Lesen auftreten (ebenso sind natürlich alle psychischen und physischen Betätigungen abzusondern, verschiedenerlei Bewegungen und Bedeutungsgebungsprozesse oder Bezeichnungserlebnisse, die die Erzeugung und Wahrnehmung der Phoneme und Grapheme mit sich bringt) und ebenfalls auch ihre Bedeutungen. Die Graphemsprache besteht demnach einzig und allein nur aus gewissen geschriebenen oder gedruckten oder auf sonstige Art zustandegebrachten4) Linien und Linienkomplexen, die Dinge der sogenannten ,Außenwelt' genau in derselben Meinung sind wie dieser Tisch, meine Feder usw. Sie bilden allerdings innerhalb der Dinge der Außenwelt ihre eigene Gruppe, aber nur insofern, als man sie verstehen kann oder wenigstens einmal verstehen konnte, oder m. a. W. als man sich zu ihnen auf eine bestimmte Weise verhalten kann oder konnte, anders als z. B. zu dem vor mir befindlichen Tisch, der vor mir stehenden Tinte usf., und namentlich dadurch, daß man ihnen eine Bedeutung geben kann oder konnte.

Wenn wir also im folgenden jene sehr gewöhnlichen Wendungen wie ,hat Bedeutung', ,dieses und jenes Graphem bedeutet', ,die Bedeutung dieses und jenes Graphems ist...' anwenden, so meinen wir damit nur, daß man die betreffenden Grapheme nach ihren Gebrauchsdefinitionen lesen und verstehen kann, daß sie dieses oder jenes bezeichnen oder bezeichnet haben, und keinesfalls das, daß wir bei irgendeiner Analyse des Graphems seine Bedeutungsseite absondern könnten. Eine Bedeutungsseite der letztgenannten Art enthält kein Graphem, und wir könnten, falls jemand möglicherweise die Bedeutung als auf diese oder jene Weise als Eigenschaft oder Teil zum Graphem gehörig ansehen will, die von uns vorgetragene Behauptung dahin zuspitzen, daß wir sagen: in diesem Falle bedeutet kein Graphem jemals irgend etwas und hat niemals etwas bedeutet.

14. Von diesem grundlegenden Standpunkt aus können wir einige interessante sprachtheoretische Untersuchungen unternehmen. Aber zuvor wollen wir noch zwei, sich an das soeben Gesagte anschließende,

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4) Zum Zustandebringen braucht durchaus nicht unbedingt eine menschliche Tätigkeit stattzufinden, wie man auch oft behauptet finden kann. Die griechische Mythe kennt die Erzählung von dem schönen Jüngling Hyakinthos, den Apollo tötete. Aus dem Blute des Hyakinthos soll eine Hyazinthenblüte erwachsen sein, auf deren Blütenblättern die Buchstaben Al (Klageruf) gestanden haben sollen. Auch dieses Al wäre ein Graphem unbeschadet seines wunderbaren Ursprungs.

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kritische Anmerkungen machen, die für die spätere Darstellung von Vorteil sein können.

Man trifft u. a. auch bei B. R u s s e l l (An Outline of Philosophy, S. 46 ff.) auf eine Behauptung, die in bezug auf das zuletzt Behandelte befremdend ist. R u s s e l l schreibt nämlich: „Ordinary words are of four kinds: spoken, heard, written, and read", und er spricht dementsprechend weiter von der gesprochenen, der gehörten, der geschriebenen und der gelesenen Sprache. Auf die vorstehend vorgetragene Betrachtungsart verweisend möchten wir betonen, daß hier nur zwei Sprachen in Frage kommen könnten: die Phonemsprache und die Graphemsprache. Für beide ist es ziemlich charakteristisch, daß man sie erzeugen (die eine sprechend, die andere schreibend) und aufnehmen kann (die eine hörend, die andere lesend). Aber hieraus kann keineswegs folgen, daß man von ihnen als von vier verschiedenen Sprachen sprechen kann, ebensowenig wie daraus, daß man verschiedene Gegenstände, Tische, Stühle ufw. sehen, riechen, tasten, sie auf verschiedene Weise herstellen kann, folgt, daß es ,vier verschiedene Arten' von Stühlen oder Tischen gibt, gesehene, gerochene, getastete, z. B. mit der Hand hergestellte usw. Dagegen ist es natürlich völlig richtig, z. B. in der Psychologie von der Erzeugung der Rede, ihrem Hören, dem Lesen der Schrift usf. ebenso wie von der Herstellung des Stuhles, vom Sehen und Tasten desselben o. ä. zu sprechen.

Ein zweites Beispiel, das beweist, wie notwendig ein Betonen des in Punkt 13 von uns dargelegten Gedankenganges ist, sei den linguistischen Kreisen entlehnt.


Die Sprachforscher haben besonders in letzter Zeit vielfach den Umstand betont, daß die Sprache nicht außerhalb des Menschen besteht. So z. B. kann man bei dem bekannten Sprachforscher O t t o J e s p e r s e n lesen (Mankind, Nation and Individual from a linguistic Point of View, Oslo 1925, S. 4 ff.): „ . . . that we no longer do what was so frequently done in earlier times, that is, conceive language as a self-existent thing or substance. . . , but have learnt to see that language in its essence is a human activity, . . ." Jespersen ist bereit, sich der Meinung anzuschließen, daß (S. I7) „language is the sum of the wordpictures that are stored in the souls of all the individuals" und weiter sagt er (S. 22) „a word, as it lies unused in the brain or as it stands in a dictionary is a potential linguistic action." Derartigen auch sonst in der sprachwissenschaftlichen Literatur auftauchenden Gedanken haben wir also zunächst entgegenzustellen, daß der Graphemsprache (wie auch allen sonstigen Sprachen) keinerlei Tätigkeit zugehörig ist, wir haben von ihr alle in Verbindung mit dem Erzeugen und dem Lesen auftretenden psychischen und physischen Tätigkeiten klar getrennt, wir dürfen also auch keinesfalls z. B. das Schreiben und die Schrift sowie das Lesen und die Schrift identifizieren. Die Sprachwissenschaft wäre reine Psychologie, wenn man die Sache auf Jespersens Art darstellen könnte. Unbestreitbar naheliegend ist ein Vergleich des von diesem Forscher vorgetragenen

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Standpunktes mit der Auffassung, die lehrt, daß es z. B. aktuelle und potentielle Beile gäbe, von denen jedoch nur die vorgenannten eigentlich Beile seien, und zu denen als irgendein sehr wesentlicher Teil auch Herstellung und Gebrauch des Beiles gehörten. Natürlich denken wir, daß auf dieselbe Art wie gewisse Gegenstände der Außenwelt Beile sind, seien sie nun von Menschen hergestellt oder nicht, benutzt oder nicht benutzt, andere Gegenstände der Außenwelt Bestandteile der Graphemsprache (oder der Phonemsprache) sind, seien sie nun menschliche Erzeugnisse oder nicht, vorgelesen oder in irgendeiner Bibliothek versteckt, in der sie niemand liest oder lesen kann, wenn sie nur gewisse Bedingungen erfüllen, die wir im obigen angegeben haben. Und schließlich, was die zur Sprache gebrachte Hauptsache anbetrifft, nämlich die ein wenig unklare Frage danach, ob die Sprache außerhalb des Menschen besteht oder nicht, so ist die Antwort von unserem Standpunkt aus verhältnismäßig einfach und schon durch Obenstehendes geklärt. Die Bestandteile der Graphemsprache gehören (ebenso wie auch diejenigen der Phonemsprache) in ihrer Gesamtheit der Außenwelt an, genau in derselben Meinung wie z. B. ein Tisch, ein Pferd oder ähnliche Dinge. Wahr ist allerdings—wie wir bereits früher hervorgehoben haben—, daß die Graphemsprache (wie auch die Phonemsprache) im allgemeinen Erzeugnis des Menschen und Ergebnis seiner Tätigkeit ist (wie auch der Tisch, die Schreibmaschine, das Gesetz usf.), aber diese Tätigkeit und ihr Resultat sind zwei verschiedene Sachen. U. E. wäre es wenigstens in einigen Punkten für die Klarheit der Sprachforschung von Vorteil, wenn sie diese Umstände in Betracht zöge und sich von der Sprache eine Auffassung aneignete, die durch verschiedene traditionelle Denkarten nicht irritiert wird.

15. Wie wir bereits gesagt haben, ist es, von diesem Standpunkt ausgehend, möglich, einige nach unserer Ansicht wichtige, worttheoretische Erklärungen zu geben, namentlich ist es angängig, die im Gebiete der Graphemsprache (und auch der Phonemsprache) herrschende Hierarchie der logischen Typen zu erforschen, und gleichzeitig ist es möglich, eine Antwort auf einige bedeutungsvolle Fragen zu geben, nämlich auf die Fragen: was ist das Wort, und was ist die Sprache.

In der linguistischen Literatur kann man vielerlei Definitionen für die Bedeutung des Graphems ,Wort' (oder ,word', ,mot', ,sana' usw.) antreffen, die meistens darin übereinstimmen, daß das Wort als die kleinste bedeutungsvolle Einheit der Sprache aufgefaßt wird, die die beiden schon oben genannten Teile: den physischen und den psychi-

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schen als eine untrennbare Verbindung enthält. Aber schon seit langem hat man geahnt, daß mit einer solchen Definition nicht alles in Ordnung ist. So können wir hier z. B. einige bemerkenswerte Gedanken von F. d e S a u s s u r e zitieren. Er nennt die konkreten sprachlichen Tatsachen, die in der Rede abgegrenzt werden können, Einheiten (vgl. d e S a u s s u r e, Cours, S. I46). Aber diese Einheiten seien nicht mit dem Wort vereinbar. S. 147 schreibt er weiter: „Pour s'en convaincre, qu'on pense seulement à cheval et à son pluriel chevaux. On dit courramment que ce sont deux formes d'un même mot; pourtant, prises dans leur totalité, elles sont bien deux choses distinctes, soit pour le sens, soit pour les sons.... Ainsi, dès qu'on veut assimiler les unités concrètes a des mots, on se trouve en face d'un dilemme: ou bien ignorer la relation,..., et dire que ce sont des mots différents,—ou bien, au lieu d'unités concrètes, se contenter de l'abstraction qui réunit les diverses formes du même mot. Il faut chercher l'unité concrète ailleurs que dans le mot." Ähnliche Ansätze zur Klärung der Bedeutung des Graphems ,Wort' haben auch andere Sprachforscher gemacht.

16. Unter Bezugnahme auf die bereits früher von uns vorgetragenen Umstände können wir also als Wörter der Graphemsprache die Gegenstände ansehen, die solche optischen Gebilde sind, die man auf die eine oder die andere Weise verstehen kann oder hat verstehen können, für die m. a. W. eine Gebrauchsdefinition vorhanden oder einmal vorhanden gewesen ist. Diese Erklärung ist jedoch noch merkbar unzureichend und der Ergänzung bedürftig. Mit einem Graphem ,Wort' werden in der Linguistik und auch oft im vorlinguistischen Denken Gegenstände von vier verschiedenen Typen der logischen Hierarchie bezeichnet, von denen d e S a u s s u r e ansatzweise nur zwei (die sog. Einheiten und die sog. Wörter) benennt.

Um diese Bedeutungen der Grapheme ,Wort', ,Wortes', ,Wörter' usw. klarzulegen, schreiben wir hier z. B. Tisch Tisch Wort Wort. Nun können wir über diese Grapheme zwei verschiedene wahre Sätze, die trotz ihres scheinbaren Widerspruchs widerspruchslos sind, aufstellen, nämlich 1.) ,Auf dieser Seite in der zweiten Zeile dieses Absatzes stehen kursiv gedruckt vier Wörter’ und 2.) ’In der zweiten Zeile dieses Absatzes stehen kursiv gedruckt zwei Wörter’. Es ist einleuchtend, daß in diesen Sätzen das Wort ,Wort' zwei verschiedene Bedeutungen haben muß oder anders ausgedrückt: der mit dem Graphem ,Wörter' bezeichnete Gegenstand ist in den beiden Sätzen verschieden. Im ersten Satz bezeichnet ein Graphem ,Wörter' reale Grapheme, von denen hier vier zu sehen sind, und von denen man sinnvoll sagen kann, daß




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ihre Lange so und so viele Millimeter beträgt, was für eine Schriftart sie sind, und die man, falls sie Handschrift wären, auch graphologisch untersuchen könnte usw. Von derartigen realen Gegenständen ist diese Zeitschrift und sind die Bücher der Welt voll. Wir wollen nun sagen, daß die Bedeutung eines Graphems ,Wörter' wie dieses im ersten Satz ein Gegenstand von nulltem Typus der logischen Hierarchie ist. Diese Gegenstände (also einige linguistische Wörter) werden wir von hier an, um die Vieldeutigkeit des Wortes und des bisherigen Begriffes ,Wort' zu vermeiden, durch das Symbol ,Tisch o t' (gelesen ,Tisch Null t') bzw. ,Wort o t' (usw. in entsprechender Weise) bezeichnen, welche Symbole in bestimmten Fällen in der linguistischen Literatur mit dem Wort ,Wort' identisch sind, und von denen jedes also immer ein bestimmtes oder irgendein einzelnes Graphem ,Tisch' bzw. ,Wort' (usw.) oder, wenn die Phonemsprache zur Untersuchung steht, ein bestimmtes oder irgendein einzelnes Phonem ,Tisch' bzw. ,Wort' (usw.) bedeutet. Aus einer solchen Gebrauchsdefinition folgt u. a., daß, wenn wir ein bestimmtes, einzelnes Graphem (oder Phonem) ,Tisch o t' wieder bezeichnen wollen, seine Bezeichnung etwa die folgende sein würde: ,Tisch o t o t' oder ,Tisch o t2'.

Die vier oben als Beispiele gedruckten Grapheme gehören in eine Klasse, die als Elemente alle Grapheme (und Phoneme) von nulltem Typus umfaßt, und die wir durch das Symbol {Wort} bezeichnen wollen. Das heißt also, daß



Denn durch Wort t o bezeichnen wir Žin bestimmtes oder irgendein einzelnes Graphem (bzw. Phonem) oder m. a. W. ,ein Wort von

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nulltem Typus' und durch Wort o t ein bestimmtes oder irgendein einzelnes Graphem (bzw. Phonem) ,Wort' oder „ein Wort,Wort' von nulltem Typus". Eigenschaften der Wörter von nulltem Typus sind u.a., daß sie und nur sie etwas bezeichnen können, und daß man sie nicht lexikographisch ordnen kann. Die Klasse {Wort} ist kein linguistisches Wort, aber einige Teilmengen von ihr sind, wie wir im nächsten Absatz sehen werden, bekannte Wörter in der Linguistik. Man könnte vielleicht besser sagen, daß die Klasse {Wort} ein logischer Begriff ist, der in der Literatur bisweilen mit einem Graphem ,Wort' oder (wenn sie in einer bestimmten Relation vorgestellt wird) mit einem Graphem ,Wortes' usw. bezeichnet wird. Ebenso wie die Menge der Menschen kein Mensch ist, obgleich man von ihr oft ein Graphem ,Mensch' oder ein Graphem ,Menschen' usw. benutzt, so verhält es sich auch hier in entsprechender Weile. Wir werden auch gleich sehen, daß es noch andere Klassen als die Klasse {Wort} gibt, die man unter die logischen Begriffe ,Wort' rechnen muß.

In dem Satz 2.) aber, den wir einige Absätze weiter oben als Beispiel benutzt haben, bedeutet das Graphem ,Wörter' keine Gegenstände von nulltem Typus, also keine Grapheme oder keine Phoneme, die die Eigenschaften der sogenannten Realität besitzen, sondern die Menge aller Grapheme ,Tisch' bzw. ,Wort'. Ein bestimmtes Graphem ,Wörter' kann also zweitens bezeichnen eine Menge, deren Elemente die Grapheme,Tisch' oder eine Menge, deren Elemente die Grapheme ,Wort' sind, und nicht nur die hier auf der genannten Stelle gedruckten, sondern auch alle anderen Grapheme ,Tisch' bzw. ,Wort', die der Realität angehören. Die Klasse aller Grapheme ,Tisch' und die Klasse aller Grapheme ,Wort' (der Grapheme ,Apfel', ,kommen', ,als' usf. ad infinitum) werden wir im folgenden durch ,Tisch I t', ,Wort I t' usw. bezeichnen. Gegenstände dieser Art sind, wie man leicht bemerkt, linguistische Begriffe, wie z. B. der Nominativ ,Tisch', der Nominativ ,Wort', der Infinitiv ,kommen' usf. Der als Beispiel angeführte Satz sagt aus, daß an der genannten Stelle Elemente zweier solcher Klassen auftreten. Aufzählung der Eigenschaften, die diese Klassen besitzen, ist Sache der Linguistik. Bezüglich einer sozusagen negativen Eigenschaft möchten wir hier eine Bemerkung machen, daß nämlich solche Klassen nichts bezeichnen, also keine Bedeutung haben oder je haben können.—Man kann durch unsere Bezeichnungsweile weitere Zeichenklassen bilden. Durch ,Tisch I t o t' bezeichnen wir ein bestimmtes oder irgendein einzelnes Zeichen ,Tisch I t' von nulltem Typus. Die Klasse dieser Zeichen wird durch ,Tilch I t I t' oder kürzer durch

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,Tisch I t2' bezeichnet5). Solche Zeichenklassen sind natürlich keine Wörter.—Fernerhin ermöglicht unsere Bezeichnungsweise, wie oben gesagt, daß man z. B. mit den Klassen ,Tisch I t' und ,Wort I t' die Nominative Tisch und Wort streng definieren kann.

Die zwei Wörter, von denen in unserm zweiten Beispielsatz die Rede ist, gehören als Elemente in eine Klasse, die unter anderem alle Biegungsformen als Elemente enthält (also solche Elemente wie: Tisch I t, Tisches I t, Tische I t, Wort I t, Wörter I t usw.). Wir werden diese Klasse folgendermaßen bezeichnen: {{Wort}}. Unter Benutzung dieser Bezeichnungsweise können wir schreiben:



Der Klasse {{Wort}} gehören somit nur diejenigen Teilklassen der Klasse {Wort} an, die in der Linguistik gerade Wörter genannt werden, nämlich die einzelnen Biegungsformen. Natürlich wird diese Klasse {{Wort}} ebenso wie die Klasse {Wort} bisweilen durch das Wort ,Wort' bezeichnet, besonders in der linguistischen Literatur. Es gibt also einige einzelne Elemente der Klassen Wort I t, Wörter I t, Wortes I t usw., die als Bedeutung die Klasse {Wort} oder {{Wort}} haben.

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5) Von einer weiteren Durchführung dieser Bezeichnungsweise hat Uuno Saarnio in einer in Vorbereitung befindlichen Untersuchung ,Über die transfinite Zahl Symbolum' Gebrauch gemacht.

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Es braucht wohl kaum bemerkt zu werden, daß, wie die Klasse {Wort}, so auch die Klasse {{Wort}} kein Wort mehr, sondern ein neuer Begriff unter den Begriffen ,Wort' ist. Daß diese Begriffe von den Wörtern ,Wort' (z. B. Wort I t) verschieden sind, bemerkt man, wenn man z. B. bedenkt, daß die Klassen {Wort} und Tisch I t gemeinsame Elemente haben, aber nie {Wort} und {Tisch}. Und weiter können wir feststellen, daß die Zeichen {Wort} und {mot} identisch sind. Also


Diese Klassen können nicht ein einziges Element gemeinsam haben. Es ist somit wichtig, daß Graphem bzw. Phonem ,Wort', die Wörter ,Wort' (Wort I t und Wort 2 t) und die Begriffe ,Wort' ({Wort}, {{Wort}} und das ein wenig später vorkommende {{{Wort}}}) zu unterscheiden und sie verschieden zu definieren.

Wenn wir unsere Begriffsbildungen mit den Gedanken von de S a u s s u r e vergleichen, so bemerken wir, daß wir das Graphem anders definieren als er, aber wenn wir die erreichten Ergebnisse auf die Phonemsprache beziehen und also von Phonemen sprechen, so ist d e S a u s s u r e s l'unité concrète identisch mit unserem Phonem. In unserem zweiten Beispielsatz wird auch von Wörtern gesprochen, aber von den Bedeutungen des Graphems ,Wörter' an jener Stelle hat d e S a u s s u r e nichts erwähnt.

17. Wir können jedoch weiter gehen auf diesem Wege. Wir schreiben wieder: Tisch Tisches Tische oder Wort Wortes Worte Wörter und über diese beiden Gruppen von Graphemen können wir die folgenden wahren Aussagen machen: I.) In der zweiten Zeile dieses Absatzes stehen kursiv gedruckt drei bzw. vier Wörter (nämlich drei bzw. vier Grapheme, die und die, sie sind den Augen sichtbar), und 2.) in der zweiten Zeile dieses Absatzes steht kursiv gedruckt dasselbe Wort dreimal bzw. viermal. Die obigen Elemente der Klassen Wörter I t (in dem ersten Satz) und Wort I t (in dem zweiten Satz) bezeichnen wieder verschiedene Gegenstände. Die Bedeutung des Graphems ,Wörter' in dem ersten Satz ist durch die obigen Ausführungen bereits bekannt. Grapheme oder Wörter von nulltem Typus sind seine Bedeutung (tatsächlich sehen wir an der genannten

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Stelle drei bzw. vier getrennte, in die sogenannte Realität gehörende Gebilde).

Im zweiten Satz dagegen wird durch das Graphem ,Wort' etwas anderes bezeichnet, nämlich eine Klasse bestimmter Graphemklassen, eine Klasse, deren Elemente diejenigen Klassen sind, die wir mit Tisch I t, Tisches I t, Tische I t, Tischen I t (oder eine Klasse, deren Elemente wir mit Wort I t, Wortes I t, Wörter I t, Worte I t, Worten I t, Wörtern I t) bezeichnet haben. Für eine solche Klasse wollen wir die Bezeichnung ,Tisch1 2 t' bzw. ,Wort z t' benutzen. Diese Klassen Tisch 2 t und Wort 2 t (usw.) sind Teilklassen der Klasse {{Wort}}. Also:



Die Klasse Tisch 2 t bzw. Wort 2 t ist durch eine linguistische Definition bestimmt. Diese Definition besagt, was für sogenannte Formen des Wortes (d. h. Klassen von Realitätsgraphemen Tisch t, Tisches I t usw., bzw. Wort I t, Wortes I t usw.) in sie als Elemente gehören.

18. Bisher haben wir als Bedeutung für die Elemente der Klassen Wort I t, Wortes I t usw. Gegenstände von drei verschiedenen Typen der logischen Hierarchie erhalten: I. Die Bedeutungen, die von nulltem Typus sind, und die aus Graphemen (und Phonemen) bestehen. Solche Gegenstände können wir lesen, wir sind imstande sie wenigstens zu sehen, wir können sie in gewissen Fällen graphologisch untersuchen, messen usw., meistens besitzen wir weiter die Fähigkeit sie zu schreiben. In diese Gegenstandssphäre gehörende Phoneme können wir hören, sie sind oft Objekte phonetischer Untersuchungen, in ihnen kann man ferner den physischen Ausdruck des Sprechenden spüren usw. Diese Wörter von nulltem Typus und nur diese Wörter können —was sehr wichtig zu bemerken ist—syntaktische Gebrauchsdefinitionen und Bedeutungen haben.—2. Die Bedeutungen, die von erstem Typus sind, und die aus bestimmten Klassen von Graphemen und Phonemen bestehen. Die genaue Bestimmung, was für Elemente jede von diesen Klassen enthält, ist eine spezialwissenschaftliche Frage

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und interessiert uns nicht weiter in diesem Zusammenhang. Aber auch ohne spezielle linguistische Untersuchung können wir genug gemeinsame allgemeine Eigenschaften feststellen, um z. B. zu bestimmen, daß die Grapheme Tisch und Tisch zu derselben Klasse gehören. Diese Klasse bezeichnen wir, wie gesagt, durch Tisch I t. Ebenso können wir bestimmen, daß Tisches und Tisches und weiter Tische und Tische oder auch Worte und Worte paarweise ihren eigenen Klassen angehören. Die gemeinten Klassen bezeichnen wir durch Tisches I t, Tische I t und Worte I t. Diese und die anderen Klassen von diesem Typus besitzen keine gemeinsamen Eigenschaften mit den Wörtern von nulltem Typus, d. h. u. a. auch, daß sie keine syntaktischen Gebrauchsdefinitionen haben, weil wir von ihnen keinerlei Gebrauch zum Bezeichnen machen können, daß sie nichts bedeuten, und daß man sie weder lesen noch schreiben kann. Die Individuen der Sprachgeschichte sind meistens Wörter von diesem Typus. Wir heben noch hervor, daß diese ,Wörter' durch einige Wörter von nulltem Typus oder, genauer gesagt, durch die Elemente z. B. der Klassen Tisch I t, Wort I t bezeichnet werden. In diesem Artikel bezeichnen wir z. B. die in den Beispielsätzen erwähnten Wörter gemäß der obigen exakten Definition der Wörter durch die Elemente der Klassen Tisch I t2, Wort I t2.—3. Die Bedeutungen der Grapheme ,Wort', ,Wortes' usw., die von zweitem Typus sind, und die aus einigen in der Linguistik näher zu bestimmenden Klassen bestehen, welcher die Wörter von erstem Typus als Elemente angehören. Diese Klassen sind die Wörter vom zweiten Typus der logischen Hierarchie und werden von uns z. B. durch Tisch 2 t und Wort 2 t bezeichnet. Sie besitzen natürlich keinerlei Realität, sie sind noch abstrakter als die vorhergenannten und haben keine Eigenschaften mit diesen gemeinsam. Von den wichtigsten Eigenschaften dieser Wörter nennen wir die Flexierbarkeit und Nicht-Flexierbarkeit (jene bedeutet, daß ein Wort von zweitem Typus als Klasse mehr als ein Element enthält, z. B. Tisch 2 t, und diese, daß es nur ein Element enthält, z. B. und 2 t). Oft ist eine Biegungsform von verschiedenen Wörtern eine und dieselbe Klasse der Wörter von nulltem Typus, z. B. ,Arme I t', die zugleich ein Nom. Sing. und ein Nom. Plur. ist, oder ,verraten I t', die einen Infinitiv im Deutschen und eine Infinitivform im Finnischen darstellt. Dies bedeutet, daß die Wörter von zweitem Typus gemeinsame Elemente haben, sie sind also nicht fremd zueinander. Dagegen sind die Wörter von erstem Typus immer elementefremd. Es ist klar, daß Wörter, die von zweitem Typus sind, ebenfalls nichts

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bezeichnen können. Die genauere Untersuchung der Eigenschaften dieser Wörter ist Aufgabe der Linguistik. In dieser Wissenschaft bezeichnet man sie einfach durch ein Graphem (bzw. Phonem) ,Wort', z. B. wenn angegeben wird, daß dieses und dieses Wort so und so dekliniert. Es sei noch erwähnt, daß diese Wörter die sprachlichen Gegenstände bilden, die in den Wörterbüchern meistens übersetzt werden, d. h. in den Wörterbüchern sind mit den Graphemen an erster Stelle Wörter von zweitem Typus und mit denen an zweiter Stelle einige andere Wörter des zweiten Typus, deren Elemente in einer anderen Sprache enthalten sind, gemeint. Diese Grapheme an erster und zweiter Stelle bezeichnen nicht ein und dasselbe, sondern sie bezeichnen Wörter von zweitem Typus, deren Elemente der Elemente meistens ein und dasselbe bezeichnen.

19. Mit der Aufzählung der genannten Bedeutungen des Graphems ,Wort' (oder genauer gesagt der Elemente der Klasse Wort I t) haben wir aber noch nicht alle Bedeutungen dieses Graphems erschöpfend behandelt. Eine neue Bedeutung erhalten wir nämlich, wenn wir untersuchen, was ein Element der Klasse Wort I t in den folgenden Beispielsätzen bezeichnet: ,Apfel ist ein Wort', ,Tisch ist ein Wort', ,der ist ein Wort', ,Wort ist ein Wort' usw. (genauer wären diese Sätze zu schreiben: ,Apfel 2 t ist ein Wort', ,Tisch 2 t ist ein Wort' usw.). In diesen und ähnlichen Beispielsätzen wenden wir das Graphem ,Wort' für eine Bedeutung an, welche eine Klasse von drittem Typus ist, deren Elemente die Wörter von zweitem Typus (Tisch 2 t usw.) sind. Wir bezeichnen diese Klasse durch {{{Wort}}} oder durch ,Wort t 3'. Das mit den Symbolen Tisch o t, Tisch I t, Tisch 2 t in analoger Weise gebildete Symbol Tisch 3 t bzw. Wort 3 t kann hier nicht verwendet werden, weil dieses kein Wort mehr bezeichnet. Durch linguistische Definitionen kann man die Wörter von zweitem Typus genau von allen übrigen Gegenständen unterscheiden, und damit ist die Klasse {{{Wort}}} gebildet. Die Definition der gemeinsamen Eigenschaften der Wörter von zweitem Typus ist die Definition der Klasse {{{Wort}}}. Wir haben also z. B.



Es braucht kaum gesagt zu werden, daß diese Bedeutung des Graphems ,Wort' bei d e S a u s s u r e nicht erwähnt wird.

(Schluß folgt.)