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deutsches Wort sei. Die Klasse {ein deutsches Wort} kann man wieder nicht lexikographisch ordnen. Doch können wir sie nach dem Index t ordnen und erhalten dadurch das System [ein deutsches Wort] t, welches ein Teilsystem des Systems [Wort] t ist. Einige Teilsysteme des Systems [ein deutsches Wort] t bilden Wörter von erstem Typus, welche wir nach dem Index l ordnen wollen, um somit das System [[ein deutsches Wort] t Wort t I] l zu erhalten. Man kann auch einen anderen Weg wählen. Aus dem System [Wort] t wollen wir nur diejenigen Wörter von erstem Typus auswählen, von deren Elementen man empirisch sagen kann, daß sie deutsche Wörter seien, und aus ihnen das System [[Wort] t ein deutsches Wort] l bilden. Dieses System ist umfangreicher als das System [[ein deutsches Wort] t Wort t I] l . Also: [[ein deutsches Wort] t Wort t I] C [[Wort] t ein deutsches Wort] l C [[Wort] t Wort t I] l .
Das Symbol [[ein deutsches Wort] t Wort t I] l definiert den deutschen Wortbestand in der lexikographischen Ordnung. Auf Grund des Wortbestandes und derjenigen syntaktischen Regeln, die wir oben mit dem Index s2 charakterisiert haben, wird also die Konstitution der deutschen Sprache, wie bereits im vorstehenden dargelegt, exakt durch das Symbol [ein deutsches Wort] s2 definiert.
27. Meistens genügt wohl schon die verschiedene Syntax allein als Grund der Einteilung, aber wir können als Möglichkeit annehmen, daß es zwei verschiedene Sprachen gäbe, die einen völlig verschiedenen Wortbestand aufzuweisen hätten, aber eine völlig gleiche Syntax. Man würde sie als zwei verschiedene Sprachen ansehen, weil die diese Sprachen Sprechenden einander nicht verstehen würden. Aus diesem Grunde muß auch der Wortbestand bei der Einteilung des Systems [Wort] s in die verschiedenen Sprachen in Betracht gezogen werden. Aber im allgemeinen ist es nicht nötig, lexikographische Anordnungen zu treffen, um diejenigen Teilsysteme konstitutionstheoretisch zu bilden, welche die bestehenden verschiedenen Sprachen definieren. Für den Fall, daß wir dies sei nebenbei bemerkt die morphologischen Regeln, die den Wortbestand einer Sprache bestimmen, und außerdem ihre Syntax kennen, besteht die Möglichkeit, diese Sprache fehlerlos zu benutzen (ohne auch nur die Bedeutung eines einzigen Wortes dieser Sprache zu kennen). Wenn wir z. B. wissen, daß es in einer gewissen Sprache u. a. folgende mögliche Wortmengen gibt: der I t, Federhalter I t, liegt I t, auf I t, dem I t, Tisch I t sowie auch I t, und uns ferner einige syntaktische Umstände bekannt sind, von denen nur der aufgeführt sein möge, daß die Elemente der
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Klasse auch I t allen Nomina oder Verben von nulltem Typus vorangehen oder nachfolgen können, so können wir einige fehlerlose deutschsprachige Sätze formen: auch der Federhalter liegt auf dem Tisch, der Federhalter liegt auch auf dem Tisch, der Federhalter liegt auf dem Tisch auch.
28. Gewisse gegebene morphologische und syntaktische Umstände bilden die Regel, die alle gegenwärtigen Elemente des Systems [ein englisches Wort] s bestimmt, und soweit sich die Regel nicht verändert, auch die zukünftigen Elemente. Auf prinzipiell die gleiche Art werden die einzelnen Sprachen in die verschiedenen Dialekte eingeteilt und ferner in die verschiedenen historischen Sprachformen (wie z. B. die urgermanische, gemeinnordische usw.). In der Sprache, also in dem System [Wort] s, erscheinen die Elemente der erwähnten Teilsysteme ,topologisch' als ein ziemlich einheitliches raum-zeitliches Gebiet. Wenn man genügende Kennzeichen, lexikographische und syntaktische Regeln, nicht hat angeben können oder sie in allen Einzelheiten nicht hat angeben wollen, so liegt der Fall oft so, daß die Elemente auch mehreren Teilsystemen angehören können; die verschiedenen Sprachen sind also nicht elementefremd zueinander.
29. Das System [Wort] s lässt sich noch nach anderen linguistischen Begriffen als Einteilungsgrund in verschiedene Teilsysteme einteilen, aber wir wollen diese Systeme besonders deshalb hier nicht näher behandeln, weil sie hauptsächlich nur von linguistischem Interesse sind. Nur darauf wollen wir noch hinweisen, daß sich z. B. nach dem Begriff {{Wort}} (§ I6) die Paradigmen erzeugen lassen. Nach diesem Einteilungsgrund bilden diejenigen Teilsysteme ein einheitliches Gebiet, die Elemente irgendeines Wortes von zweitem Typus sind (z. B. Tisch 2 t, Wort 2 t). Ein Wort von zweitem Typus bestimmt ein einheitliches Gebiet des Systems [Wort] s, welches eine geordnete Klasse von erstem Typus ist und deshalb einige Wörter von erstem Typus als Teilsysteme enthält. Ein dadurch bestimmtes Gebiet ist der Bestand eines Paradigmas. Wenn wir diesen Bestand z. B. auf folgende Weise ordnen:
A = [ . . . Tisch o t, Tisch o t, . . .; . . . Tisches o t, Tisches o t, . . .; . . . ],
so erhalten wir ein Paradigma in gewöhnlicher Ordnung. Einige bestimmte Teilsysteme des Paradigmas sind die Elemente eines Wortes von zweitem Typus. Die Paradigmen sind zuweilen nicht elementefremd zueinander.
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30. Das oben Gesagte kann man folgendermaßen zusammenfassen: Es gibt zwei notwendige und hinreichende Eigenschaften, die das System der Sprache zum Symbolisieren brauchbar machen. Das ist I.), daß in das System ,Sprache' solche Elemente gehören, die in einer Zeichenrelation als Vorderglieder stehen können, also Wörter von nulltem Typus, und 2.), daß die Elemente des Systems zueinander in einer solchen Ordnung stehen, wie sie von den syntaktischen Regeln bestimmt wird, also daß sie syntaktisch geordnet sind. Diese beiden Eigenschaftsforderungen befriedigt unsere Definition der Sprache, denn dem System [Wort] s angehören als Elemente alle Wörter von nulltem Typus, und es ist durch die Syntax geordnet. M. a. W. die Wörter von nulltem Typus sind nach den syntaktischen Regeln in ein vierdimensonales Kontinuum geordnet. Die dadurch entstehende Anordnung ist zugleich keine andere als diejenige, derzufolge die Wörter von nulltem Typus tatsächlich produziert worden sind oder produziert werden. Das System [Wort] s verdeutlicht außerdem, wie man von der Sprache zu erwarten hat, daß von ihr als ihre Teilsysteme alle Wörter von erstem Typus, alle Bestandteile der Paradigmen, alle Sätze von erstem Typus und alle Sprachen samt Dialekten ableitbar sind.
31. Man könnte vielleicht auf den Gedanken kommen, daß auch z. B. die Wörter von zweitem Typus und andere linguistische Begriffe von höherem als erstem Typus in der Sprache als irgendwelche Teile enthalten seien. Es ist aber leicht einzusehen, daß solche Begriffe nur wissenschaftliche Konstruktionen sind, durch welche das System Sprache logisch beherrscht wird. Sie sind nicht mehr Teile der Sprache. Auch die Systeme, die sie als Teile enthalten, können keine Sprache sein, denn die Klasse {[Wort] s Teilsystem} und das System [[Wort] s Teilsystem] n haben keine Elemente, die als Vorderglieder in einer Zeichenrelation stehen könnten. Ihre Elemente kann man nicht schreiben oder aussprechen, sondern nur durch einige Wörter von nulltem Typus bezeichnen. Keinem System von zweitem Typus kann natürlich ein Wort von nulltem Typus als Element angehören, eine Eigenschaft, welche die notwendige Eigenschaft der Sprache gerade kontradiktorisch verneint. Daraus folgt, daß die Sprache kein System von höherem als erstem Typus sein kann. Sie ist ein System von erstem Typus und wird, wie oben gezeigt, durch das Symbol [Wort] s definiert.
32. In einen Zusammenhang mit der von uns vorgetragenen, logischen Typentheorie der Wörter gerät unwillkürlich und ganz von
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selbst jene philosophische Ansicht, die mit dem Namen Nominalismus bezeichnet wird. Wie bekannt behauptet der Nominalismus in seiner radikalsten Form, daß die Universalien, d. h. die Begriffe, nur Zeichen seien. So erklärt z. B. J. B u r i d a n (Prantl, Geschichte der Logik, IV, S. I6): Genera et species non sunt nisi termini apud animam existentes vel etiam termini vocales aut scripti", m. a. W. die Nominalisten sind der Ansicht, daß das Allgemeine nichts anderes als ein Wort sei. Wir glauben, daß eine derartige Behauptung nur durch eine Vermengung der Wörter von nulltem und erstem Typus entstanden sein kann. Denn natürlich denken die Nominalisten nicht, daß ein einzelnes Graphem, z. B. in dem Satz ,Sokrates ist ein Mensch' das hier (kursiv) gedruckte Graphem Mensch, die Klasse von Menschen wäre, sondern daß es vielmehr wenn man konsequent denken würde eine Klasse von Graphemen und Phonemen ,Mensch' sei, sonst müßten die Nominalisten wohl behaupten, daß es eine unbegrenzte Anzahl von Allgemeinbegriffen Mensch gäbe, oder m. a. W. daß éine Klasse identisch mit zwei Klassen oder mit drei Klassen usw. wäre, denn wir können das Wort Mensch ja wiederholt schreiben oder aussprechen. Aber selbst wenn wir versuchen würden, die Ansichten des Nominalismus auf diese Art zu korrigieren oder, besser gesagt, sie auf die obige Art zu deuten, stösst man doch noch auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Denn mit dem Eingeständnis, daß der Allgemeinbegriff nicht z. B. dasjenige Graphem ist, das jedesmal in dem betreffenden Satze auf dem Papier steht (ein Graphem also von nulltem Typus), hat sich in den Nominalismus wenigstens éine Klasse eingeschlichen, nämlich die Klasse der ,voces', der Grapheme (und Phoneme). Selbstverständlich besteht die Möglichkeit, auch diese auf die obige Art für ein Wort zu erklären, aber dies kann nicht die richtige Lösung des Problems sein. Angenommen wir haben z. B. den Satz , , in dessen Verständnis man nach dem Nominalismus soweit vorgedrungen ist, daß man die Klasse, von der im Endteil des Satzes die Rede ist, als Mensch I t betrachtet. Wir fragen nun, was denn diese Klasse eigentlich ist. Nach dem aus dem Vorstehenden bekannten, vom Nominalismus bevorzugten Verfahren muss man antworten, daß auch sie ein Zeichen sei. Also zeichnen wir sie, sagen wir, mit dem Zeichen Mensch I t o t, aber da wir wiederum darüber einer Meinung sein können, daß es nicht Absicht des Nominalismus sein könne zu behaupten, daß der betreffende Allgemeinbegriff gerade das hier abgedruckte Zeichen wäre, so steht erneut eine Klasse Mensch I t2 in Frage (also die Klasse aller Grapheme
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'Mensch I t'). Wieder können wir nun nachforschen, was diese Klasse denn ist, und zu derselben Antwort gelangen wie vorhin, und so fort bis ins Unendliche. Immer bleibt also wenigstens je eine Klasse, für die der Nominalismus keine befriedigende Erklärung zu geben weiß. Beim Reduzieren der sogenannten Allgemeinbegriffe (,Hund überhaupt', ,Tisch überhaupt' usf.) auf Wörter verbleibt somit trotzdem immer je ein Allgemeinbegriff, nämlich die Wörter im allgemeinen, außerhalb dieser Reduktion und zwar ein derartiger, daß sein Einpassen in das beschriebene System unmöglich erscheint. Wenn wir uns gegen diese Einsicht verschließen, so räumen wir den Wörtern eine ganz eigentümliche Sonderstellung ein. Wörter überhaupt, d. h. die Klassen der Wörter von nulltem Typus, braucht man danach gar nicht in Betracht zu ziehen, und es ist auch nicht erlaubt, sie näher zu untersuchen.
33. Wir können die obigen Gedanken folgendermaßen zusammenfassen. Ein Graphem ,Mensch' werde niedergeschrieben. Nach dem Nominalismus kann man nun sagen, daß ein solches Graphem ein Zeichen für einige bestimmte, gleichartige Lebewesen sei, und weiter, daß eine Klasse nur ein Zeichen für einige gleichartige Gegenstände sei. Also das erwähnte Graphem ist identisch mit einer Klasse. In dieser nominalistischen Aussage, derzufolge gesagt werden soll, was eine Klasse sei, werden zwei Klassen vorausgesetzt, nämlich einige gleichartige Grapheme, die sich von allen übrigen Graphemen unterscheiden, und die wir durch Mensch I t bezeichnen, und einige gleichartige Lebewesen, die man auch von anderen Lebewesen unterscheiden kann, und die wir durch {Mensch} bezeichnet haben. Auf Grund der nominalistischen Aussagen kann man den Schluß ziehen, daß ein Element der Klasse Mensch I t identisch mit der Klasse {Mensch} oder die Klasse Mensch I t identisch mit derselben Klasse {Mensch} sei. Dies sind natürlich Unmöglichkeiten. Auch der Nominalist muß also Klassen benutzen, die mindestens keine Zeichen sind. Und diese Klassen kann man durch Zeichen symbolisieren. Wir behaupten natürlich nicht, daß es einen Nominalist gegeben hätte, der ausdrücklich gesagt hätte, daß eine Klasse ein Wort von nulltem Typus oder ein Wort von erstem Typus sei, denn man hat bis jetzt diese Gegenstände nicht genügend unterschieden, geschweige denn bezeichnet. Nachdem man diese Gegenstände durch verschiedene Bezeichnung deutlich unterschieden hat, steht der Nominalist, wenn er sagt, daß die Klasse nur ein Zeichen sei (vgl. R. C a r n a p, Abriß der Logistik, 9 a S. 19), vor der Alternative, die Klasse entweder als ein Zeichen von nulltem
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Typus oder als ein Zeichen von erstem Typus zu betrachten. Wenn der Nominalist behauptet, daß die Klaße ein Zeichen von erstem Typus sei, was bedeutet, daß die Klasse eine andere Klasse sei, so ist dies sinnlos. Wenn er dagegen sagt, daß die Klasse ein Zeichen von nulltem Typus sei, so folgt daraus z. B., daß zu einem einzigen Graphem vielerlei reale Gegenstände, z. B. Tische, als seine Elemente gehören. Beide Alternativen dürften somit den nominalistischen Gedankengang ad absurdum führen.
34. Heutzutage ist der nominalistische Gedankengang wohl meistens in solchen Redewendungen anzutreffen wie ,die Klassen und Relationen sind keine Gegenstände, sie sind nichts als Zeichen'. Es ist leicht zu verstehen, daß mit solchen Redewendungen besonders hervorgehoben wird, daß die Klassen und Relationen keine Individuen in einer ,höheren' oder anderswo befindlichen Welt seien. Daß aber der positive Teil genannter Behauptung zu Recht bestände, und daß die Klassen und Relationen Zeichen wären, ist sehr schwer zu begreifen. Nach der Konstitutionstheorie des Wortes bemerkt man gleich, daß
in solchen Redewendungen nie deutlich zutage tritt, was für Zeichen individuen die Klassen eigentlich sind. Wenn eine Klasse oder eineRelation nur ein sogenannter Quasigegenstand wäre, und wenn man zu gleicher Zeit zur Erklärung, was denn diese Quasigegenstände seien, behauptet, daß sie nur Zeichen seien, so gibt es zwei Möglichkeiten: I. Diese Quasigegenstände sind Realitätsgegenstände wie die erwähnten Zeichen, was natürlich ausgeschlossen ist, oder 2.) auch die Zeichen, von denen die Rede ist, sind Quasigegenstände. In diesem Fall aber wird der Quasigegenstand eben mit der zu erklärenden Sache erklärt. In einem solchen Gedankengang wird z. B. der ,Mensch überhaupt', {Mensch}, nicht als Objekt der Logik zugelassen, aber wohl ein ,Wort überhaupt' (z. B. Mensch I t, Hund I t, Tisch I t usw.). Aber wenn man in der Logik nicht von solchen Objekten wie {Mensch} sprechen kann, so kann man wohl auch nicht von Wörtern (z. B. Mensch I t) sprechen, denn die Wörter sind, wie wir eben gesehen haben, wissenschaftlich betrachtet nichts anderes als die übrigen ,Objekte' des Denkens. Die Wörter sind in der intersubjektiven Welt entweder Individuen oder Klassen unter den anderen Individuen, Klassen und Relationen. Es gibt nur éine Art von Objekten der Wissenschaft. Die Wörter bilden keine Ausnahme. Sie sind Objekte der Linguistik. Durch die Definition des Wortes und durch die Wortanalyse des Wortes ,Wort' wird die Wortmetaphysik vermieden, die die Scheinfrage, was die Begriffe eigentlich sind, dadurch zu lösen ver-
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sucht, daß sie diese dem Wesen nach mit den Wörtern von nulltem Typus (oder vielleicht mit denjenigen von erstem Typus) identifiziert. Dadurch wird die Lösung der Frage der Begriffe kaum gefördert.
35. Gemäss unserer Worttheorie können wir wissenschaftlichen Formalismus nicht darin sehen, daß man in einer Art von Linguistik nur die Zeichen analysiert und die Bedeutungen verleugnet, sondern umgekehrt nur darin, daß man die wissenschaftlichen Bedeutungen: Elemente, Klassen, Relationen und Systeme exakt konstituiert. Wenn man einmal von Wörtern von nulltem Typus sprechen kann, so kann man dies ebensogut von den Bedeutungen, und umgekehrt schließt man mit den letzteren gleichzeitig die ersteren aus. Von der ,Form des Wortes' wird ohne Metaphysik, wenn wir von linguistischer Sprachgeschichte und dem Onomatopoetischen absehen, nichts abgeleitet, denn wir können die Grapheme nach Übereinkunft (z. B. in Übersetzungen usw.) ändern, ohne daß die Bedeutungen dadurch verändert würden. Nur aus praktischen Gründen muß gefordert werden, daß die Grapheme und anderen Zeichen möglichst zweckmässig sein sollten. Dies ist die symbolologische Hauptaufgabe der Logistik. (Vgl. J. J ö r g e n s e n: Über die Ziele und Probleme der Logistik, Erkenntnis III, S. 77.)
36. Auch der Begriff der sogenannten unvollständigen Symbole hat einige Berührungspunkte mit unserer Auffassung von den Wörtern und der Hierarchie ihrer logischen Typen aufzuweisen. Wir können uns zwar in diesem Zusammenhang keinesfalls näher mit diesem Problem befassen, aber einige kleine Hinweise dürften sich aus dem Obigen ohne weitere Schwierigkeiten ergeben.
37. Von den unvollständigen Symbolen wird u. a. behauptet, daß sie nur in Verbindung mit anderen Zeichen" eine Bedeutung hätten (vgl. z. B. C a r n a p, Der logische Aufbau, § 27). Laut dem Vorhergesagten (§ 24) müssen wir dies wohl so auslegen, daß einzelne in eine bestimmte Wortklasse gehörende Grapheme (oder Phoneme) nur in einer in gewisser Hinsicht günstigen Umgebung, nämlich wenn sie unter anderen Zeichen stehen, verstanden werden können.
Aber nach unserer Ansicht ist dies für die Begründung der genannten Einteilung doch ein ziemlich zweifelhaftes Merkmal, denn unserer Meinung nach trifft es auf alle Zeichen zu, von welcher Art diese auch immer sein mögen. Z. B. weiß man wohl von einem Element der Klasse Fichte I t ohne irgendeinen rationellen Zusammenhang nicht, was es bezeichnet. Aber wenn ein Element dieser Klasse auf
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einem an einem Baum befindlichen Schild steht, so weiß man z. B., daß es diesen Baum bezeichnet, oder man versteht die Gesamtheit als einen Satz: dieser Baum ist eine Fichte. Wenn ein solches Element dagegen auf einem Schild steht, das an einer Wohnungstür befestigt ist, so bezeichnet es etwas ganz anderes, und die Gesamtheit wird etwa so verstanden: hier wohnt ein Mensch mit dem Namen Fichte. Im letzteren Fall, wenn also die Umgebung eine ganz besondere ist, ist ein Element der Klasse Fichte I t ein sogenannter ,Eigenname', und im ersteren Fall vielleicht ein sogenanntes ,ungesättigtes Zeichen'. In beiden Fällen aber ist die Umgebung, in der die genannten Zeichen sich befinden, recht bedeutungsvoll. Wir halten es für sehr wahrscheinlich, daß auch die sogenannten vollständigen Symbole in Verbindung mit anderen Zeichen oder sonst in einer rationellen Umgebung stehen müssen, um etwas bezeichnen zu können.
38. Die Zeichen von nulltem Typus können nur in einem System, wie in einer Sprache oder in einem Symbolsystem, ihre eigenen bestimmten Bedeutungen haben. Die Elemente einer ungeordneten Klasse {Wort} oder Tisch I t werden ja korrekterweise nur morphologisch, ohne Bedeutung, erfasst. Z. B. kann man von den Elementen der ungeordneten Klasse Sokrates I t nicht sagen, was sie bezeichnen. Denn wenn man sich dieselbe Klasse in der Sprache [Wort] s geordnet vorstellt, so haben ihre Elemente sehr verschiedene Bedeutungen (z. B. ein Philosoph als ,Individuum' in der intersubjektiven Welt, Platons Sokrates als ein Philosoph der subjektiven Welt, ein Buch entweder von nulltem oder von erstem Typus, ein Graphem ,Sokrates', Sokrates I t, Sokrates 2 t, ein anderer Mensch in der intersubjektiven Welt, den man den Sokrates seiner Zeit nennt usw.). Unabhängig davon, daß die Elemente des in der Sprache geordneten Wortes von erstem Typus verschiedene Bedeutungen haben, muß man sagen, daß es überhaupt sinnlos wäre, wenn man den Elementen eines ungeordneten Wortes von erstem Typus, die also ohne Zusammenhang verstanden werden, Bedeutungen zuschreiben wollte, was tatsächlich bedeuten würde, daß die Grapheme auf mystische Weise in sich Bedeutungen enthielten.
Es erscheint also wahrscheinlich, daß man dieses Merkmal, nämlich das In-einer-Wortverbindung-stehen, nicht für das entscheidende halten kann, wenn man die Symbole in vollständige und unvollständige einteilen will.
39. Von den unvollständigen Symbolen wird aber ferner behauptet, daß sie überhaupt nichts oder höchstens nur etwas Unbestimmtes
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bezeichneten (vgl. C a r n a p, Der logische Aufbau, § 27, oder R u s s e l l, PM I, S. 66 ff.). Wenn die erste Alternative als Nominalismus verstanden werden muß, so wäre hier auf die oben vorgetragene Widerlegung desselben zu verweisen.
Nach ihr kommt die nominalistische Auffassung, die die Bedeutungen der unvollständigen Symbole überhaupt verneint, schon deshalb nicht bei der Einteilung der vollständigen und unvollständigen Symbole in Frage, weil die unvollständigen Symbole als ,materialisierte' Begriffe durch die vollständigen Symbole und wenn man so will auch durch Eigennamen bezeichnet werden können. Die unvollständigen Symbole würden dann Bedeutungen sein, und alle Zeichen wären vollständig. Wenn man wiederum ganz konsequent alle Bedeutungen verneinen würde, so gäbe es auch keine Einteilung der Zeichen in vollständige und unvollständige Symbole, denn die vollständigen Symbole sollten im Gegensatz zu den unvollständigen Symbolen gerade etwas Bestimmtes bezeichnen. In diesem Falle würde es auch keine Zeichen mehr geben, denn die Grapheme, mit denen man dann irgendein Schachspiel spielen würde, hätten nichts mit den anderen, sie umgebenden Gegenständen zu tun. Die Welt wäre vollkommen stumm. Diese Überlegungen zeigen, daß jedes Wort von nulltem Typus etwas Bestimmtes bezeichnen muß, und daß man die Zeichen von erstem Typus nicht danach einteilen kann, ob ihre Elemente eine Bedeutung haben oder nicht, oder danach, ob sie isoliert oder in einem Zusammenhang vorkommen. Denn der Fall bleibt ja wohl ausgeschlossen, daß die unvollständigen Symbole irgendwelche Grapheme in kalligraphischen Schreibübungen9) wären.
40. Bei der anderen Alternative, nach der die unvollständigen Symbole etwas Unbestimmtes bezeichnen sollten im Gegensatz zu den vollständigen, haben wir eine Einteilung vor uns, die u. a. in großem Maße an die aus der Linguistik bekannte Einteilung der Wörter in Eigennamen (nomina propria) und Gattungsnamen (nomina appellativa) erinnert (mindestens in der Praxis decken sie einander, wir haben wenigstens nie bemerkt, daß die Eigennamen als unvollständige Symbole angesehen worden wären, oder daß die Gattungsnamen als vollständige Symbole verstanden worden wären, sondern stets umgekehrt.). Sehen wir ganz kurz10) zu, wie diese linguistischen Klassen zu verstehen sind.
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9) Die in den kalligraphischen Schreibübungen entstehenden Grapheme gehören meistens zu dem System [Wort] t, aber nicht zum [Wort] s.
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Wie wir aus dem vorigen wissen, können die Wörter von erstem oder höherem Typus nichts bedeuten. Wenn man z. B. zu zeigen hätte, daß die Eigennamen solche Wörter wären, die nur ein bestimmtes, einzelnes Ding bezeichneten, so bedeutete dies, genauer gesagt, daß z. B. alle Elemente der Klasse Schneider I t nur auf eine bestimmte Person bezogen werden könnten. Dies ist nicht der Fall. Nur ein Teil von den Elementen dieser Klasse befriedigt diese Bedingung. Diese bilden nur eine Teilklasse der Klasse Schneider I t. Aber auch wenn wir die Elemente des sogenannten Gattungsnamens Schneider betrachten, bemerken wir, daß viele von ihnen ebenso auf einen und denselben Schneider bezogen sind, und diese Elemente können auch eine Teilklasse in der Klasse Schneider I t bilden. Der Durchschnitt entweder der Klasse Schneider I t und {Eigenname} oder der Klasse Schneider I t und {Gattungsname} ist nicht leer, was der Fall sein sollte, falls die Einteilung der Eigennamen und Gattungsnamen eine Einteilung der Wörter von erstem Typus wäre. Und daß es sich nicht nur in diesem einzelnen Fall so verhält, können wir ziemlich sicher annehmen und können also behaupten, daß es keine Regel gibt, derzufolge irgendein Wort von erstem Typus ein sogenannter Eigenname oder ein sogenannter Gattungsname wäre. Das Großschreiben der sogenannten Eigennamen, wie man es in den meisten Sprachen antrifft, entspringt nur einigen verhältnismässig beliebigen, sozialen Gewohnheiten.
41. Bei der zweiten Alternative, nach der die unvollständigen Symbole etwas Unbestimmtes bezeichnen würden, haben wir uns auch, besonders wenn wir die Begriffe der Variablen und Konstanten in Betracht ziehen, daran zu erinnern, daß wie schon vielmals betont alle Wörter von erstem Typus bedeutungslos sind, und daß also, wenn man sagt, einige Zeichen bedeuteten Unbestimmtes, dies so zu verstehen ist, daß die Elemente einiger Wortklassen von erstem Typus etwas Unbestimmtes bezeichnen. Dies aber ist kaum möglich. Jedes Wort von nulltem Typus muß etwas ganz Bestimmtes bezeichnen, wenn es einmal etwas bezeichnet.
Demnach müssen wir sagen, daß es Grapheme gibt, die eindeutig eine einzelne Konstante oder eine einzelne Variable bezeichnen, genau so wie es solche Grapheme gibt, die einen anderen Gegenstand eindeutig bezeichnen. Damit wird das wenig günstige Wort , Unbestimm-
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10) Auf die Behandlung dieser Frage in der linguistischen Literatur, wo viele Theorien über die Verschiedenheit des Eigennnamens und Gattungsnamens aufgestellt worden sind, können wir hier aus Raummangel nicht näher eingehen.
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tes' beseitigt, wodurch die Deutlichkeit der Darstellung zweifellos gewinnt. Gleichzeitig ergeben sich Schwierigkeiten für ein Aufrechterhalten der nach dem genannten Prinzip gemachten Einteilung der Symbole in vollständige und unvollständige, denn alle Zeichen würden ja dann auf dieselbe Weise etwas Bestimmtes bezeichnen. Man kann natürlich die Zeichen von nulltem Typus auch so einteilen, daß nur diejenigen Grapheme eine Klasse bilden, die éine Variable bezeichnen. Aber eine solche Zeichenklasse ist in den heutigen Sprachen und auch in den heutigen Symbolsystemen kein Wort bzw. kein Zeichen des betreffenden Systems, sondern sie hat Elemente von verschiedenen Wörtern bzw. Zeichen, und es gibt keinen Fall, in dem sie alle Elemente eines Wortes bzw. eines Zeichen enthielte. Es ist logisch möglich, daß man solche Zeichenklassen bilden kann, und durch unsere Zeichensymbolik wäre es auch möglich sie durchzuführen. Wenn wir z. B. ein einzelnes Graphem der Klasse Tisch I t bezeichnen wollen, das in einem gegebenen Zusammenhang des Systems [Wort] s vorkommt, so ist es eine Konstante in demselben oder in einem anderen Zusammenhang des Systems [Wort] s, und wir können es z. B. durch ein Element ,Tisch o T' der Klasse ,Tisch I T' bezeichnen, wobei das große ,T' gerade die konstante Bedeutung symboliseren soll. Dann sollen die Elemente der Klasse Tisch o T I t alle in dem letzteren Zusammenhang des Systems [Wort] s miteinander identisch und mit allen anderen Graphemen, die in demselben Zusammenhang vorkommen, nichtidentisch sein. Ein solches Element kann nie ein anderes Element derselben Zeichenklasse bezeichnen. Man kann wieder eine Variable, welche den durch die Klasse Tisch I t definierten Bereich durchläuft, durch die Elemente der Zeichenklasse Tisch 0 t I t bezeichnen. Die Elemente der Klasse Tisch 0 t I t sind ebenfalls solche, die weil sie nämlich nur eine bestimmte Variabilität bezeichnen nur miteinander identisch und mit allen anderen Graphemen desselben Zusammenhanges nicht identisch sind. Wenn man ein einzelnes Glied des erwähnten Bereiches isoliert symboliseren will, so kann man es nicht mehr durch die Elemente der Klasse Tisch o t I t bezeichnen, sondern man muß eine neue Zeichenklasse gerade für dies Glied bilden, z. B. Tisch o T 1 I t. Diesen Gedankengang kann man nur relativ verwirklichen, also nur in einem gegebenen Zusammenhang eines Symbolsystems durchführen, dessen Elemente durch ähnliche Regeln geschaffen sind. Es gibt aber, wenigstens bis jetzt, nur so komplizierte Regeln dieser Art, daß solche Bezeichnungsweise bedeutungslos ist. In den Phonemsprachen kann man Ent-
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sprechendes nicht durchführen. Die Forderung, der zufolge z. B. eine bestimmte Variabilität immer nur durch Elemente von ein und derselben Zeichenklasse bezeichnet werden sollte und kein Element derselben Zeichenklasse eine andere Bedeutung bezeichnen können sollte, absolut durchzuführen, wäre nur dann möglich gewesen, wenn von Anbeginn an nur éin vollkommenes Symbolsystem, das nie Verbesserungen benötigt hätte, von allen denkenden Wesen fehlerlos allein und immer benutzt worden wäre. In den heutigen natürlichen Sprachen und in den vorhandenen Symbolsystemen muß man aus dem Zusammenhang erraten, ob eine Variable oder eine Konstante in Frage steht.
42. Der Begriff ,Variable' rührt von dem vorwissenschaftlichen Gemeinten ,Irgendein' her. In der Mathematik und Logik ist der Gedanke näher präzisiert, wie viele andere vorwissenschaftliche Gedanken, z. B. der Begriff ,Zahl'. Was in der Zeichentheorie hinsichtlich des Begriffes der Variable wichtig ist, ist die Auffassung, daß der Begriff der Variable kein Zeichen, sondern eine Bedeutung ist. Nicht die Zeichen, sondern die Bedeutungen werden substituiert. Wenn bei der Substitution ein neues Graphem aus einer anderen Zeichenklasse als derjenigen, deren Grapheme die Variable bezeichnen sollten, benutzt und dabei festgestellt wird, daß die Elemente der neuen Zeichenklasse ein bestimmtes, einzelnes Glied bezeichnen sollen, so ist an die Stelle der Variablen eine Konstante gesetzt worden. Und diese Veränderung der Bedeutungen ist die Substitution.
43. Wir können also behaupten, daß die Variable und die Konstante keine Zeichen von nulltem Typus sind, und daß sie, wenn sie in einer Zeichenrelation vorkommen, immer als Hinterglied in ihr stehen. Oder m. a. W.: die Variable und Konstante sind in bezug auf die Zeichen nur Bedeutungen. Die Einteilung in vollständige und unvollständige Symbole aber auf Grund des Unterschiedes zwischen Variable und Konstante durchzuführen, weil deren Bezeichnungen keine solchen Zeichenklassen bilden, die selbst oder deren Teilklassen Wörter von erstem Typus wären, ist wohl nicht genügend begründet.
Die in Punkt 3643 den oben dargestellten Tatsachen zur Worttheorie angeschlossenen Bemerkungen dürften genügen, um zu zeigen, daß die Einteilung der Symbole in vollständige und unvollständige als solche nicht mit der logistischen Konstitution der Wörter in Einklang zu bringen ist.
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