Erkenntnis. IV Band (1934) Heft 2.


Einige grundlegende Tatsachen der Worttheorie nebst Bemerkungen über die sogenannten unvollständigen Symbole


Von Aarni Penttilä (Helsinki) und Uuno Saarnio (Turku)


II. (Schluss aus Heft I S. 28 ff.)

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20. Im obenstehenden haben wir versucht, die Antwort auf die alte Frage, was ein Wort sei, zu geben. Im Laufe dieser Abhandlung ist hoffentlich die Vielheit der Bedeutungen des Graphems ,Wort' und insbesondere die Verschiedenheit der Wörter ,Wort' und der Begriffe ,Wort' klar geworden. Es bleibt noch die Beantwortung der anderen Frage, die wir uns ausdrücklich zur Aufgabe gestellt haben, nämlich der Frage: was ist die Sprache? Schon bevor wir zur eigentlichen Behandlung dieser Frage übergehen, wollen wir in diesem Zusammenhang ein für die Sprache sehr charakteristisches Merkmal erwähnen. Nach unserer Meinung ist der Hauptfaktor, der eine Sprache von irgendeinem anderen heutigen Symbolsystem unterscheidet, der Sachverhalt, dass die Sprache das Graphem (oder Phonem) ,Wort' enthält, das seine eigentümlichen Bedeutungen hat, die aus Graphemen und Phonemen und zwar aus solchen von derselben Klasse Wort I t, in welche es selbst als Element gehört, sowie noch aus Wörtern von höherem Typus bestehen.

Von dem Graphem ,Wort' soll man also die Wörter ,Wort', die wir durch Wort I t, Wortes I t usw. und Wort 2 t bezeichnet haben, unterscheiden. Diese Wörter sowie alle anderen Wörter von höherem als nulltem Typus (z. B. Tisches I t, Tisch 2 t, schreiben I t, schreiben 2 t, dieser I t, dieser 2 t, hier I t, hier 2 t), werden dem eigentlichen Gebrauch des Graphems ,Wort' zufolge als Wörter aufgefasst. Nun sind die Wörter ,Wort' (Wort o t, Wort I t, Wort 2 t) in bezug auf ihren logischen Aufbau mit anderen Wörtern vollkommen koordiniert, aber daneben sind aus dem Gebrauch des Graphems (bzw. Phonems) ,Wort' auch die Begriffe ,Wort' entstanden, die von den vorigen grundverschieden sind. Wir haben sie durch {Wort}, {{Wort}},

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{{{Wort}}} symbolisiert. Aber solche Bestandteile wie alle diese, die durch ein Wort ,Wort' in der Sprache bezeichnet werden können, hat unseres Wissens kein sogenanntes Symbolsystem, z. B. Notenschrift, Seezeichensystem, mathematisches Symbolsystem usw.

21. Unter den Wörtern gibt es noch das Wort ,Zeichen', das eine ähnliche Rolle wie das Wort ,Wort' spielt, aber doch kaum eine so vielseitige. Das Wort ,Zeichen' bezeichnet auch andere Zeichen als Wörter von nulltem Typus (wie z. B. ein rotes Dreieck an gefährlichen Strassenbiegungen) und bringt dadurch die Sprache mit den verschiedenen Symbolsystemen zusammen. Gerade aus dem Bedeutungskreis des Wortes ,Zeichen' werden nach besonderen Klassifikationsprinzipien andere Symbolsysteme gebildet. Alle Zeichen nämlich, die von nulltem Typus sind, auch die Zeichen ,Zeichen' (also Elemente der Klasse Zeichen I t) sind Elemente der Klasse {Zeichen}, die viel umfangreicher ist als die Klasse {Wort}. Die Klasse {Zeichen} ist natürlich kein Zeichen mehr, obgleich sie mit dem Graphem ,Zeichen' bezeichnet wird. Unter den aussersprachlichen sogenannten Zeichen gibt es auch Typenverschiedenheiten, also eine Hierarchie der logischen Typen, aber sie ist ärmer als die der sprachlichen Zeichen. Es gibt Zeichen von nulltem Typus (z. B. ) und von erstem Typus (z. B. die Klasse aller solchen Dreiecke), aber höhere Typen gibt es kaum. Eine Flektierbarkeit des Zeichens kennt man nicht, und es gibt vielleicht auch keine anderen Eigenschaften, die Zeichen von zweitem Typus bilden würden. Ein Graphem ,Zeichen' kann somit nur folgende Gegenstände bezeichnen: I. ein Zeichen von nulltem Typus und 2. die Klasse {Zeichen} oder einige Teilklassen von ihr. Wir erhalten Beziehungen wie:


Zum Bezeichnen der Klassen Cl' {Zeichen} und {{Zeichen}}, von denen die erste die Menge aller Teilklassen der Klasse {Zeichen} und die zweite etwa die Menge aller derjenigen Zeichenklassen sei, die man noch Zeichen nennt, werden in der Regel nicht mehr die Elemente der Klasse Zeichen I t benutzt.

22. Hiermit können wir zur Behandlung der zweiten Hauptfrage übergehen, einer Frage, die besonders in der linguistischen Literatur

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der letzten Jahre sehr oft behandelt ist. Es ist dies die Aufgabe festzustellen, was die Sprache ist. Wir haben zwar in Punkt I 9 und 20 hierzu bereits etwas ausgelagt, aber in der Hauptsache steht die Frage doch noch offen. Da die exakte Definition der Sprache sehr eng mit der von uns vorgetragenen Theorie von der Hierarchie der Worttypen verbunden ist, so dreht diese Frage in einem organischen Zusammenhang mit dem oben Dargestellten und kann unter diesen Umständen ohne das Gelagte nicht verstanden werden.

In letzter Zeit hat man von verschiedenen Seiten her – den ersten Anstoss hierzu gab anscheinend der Sprachforscher F. d e S a u s s u r e – hervorgehoben, dass das Wort ,Sprache' vieldeutig sei. Besonders d e S a u s s u r e versuchte diesen Misstand dadurch zu beheben, dass er in die Sprachforschung drei verschiedene termini technici einzuführen trachtete, von denen jeder etwas Verschiedenes bezeichnete, nämlich die Termini: langue (Sprache), langage (menschliche Rede), parole (Sprechen). Zum Bezeichnen dieser drei Sachen, auf die sich jene drei Termini von S a u s s u r e beziehen, hat man sich bisher des Wortes ,Sprache' bedient. S a u s s u r e haben sich einige weitere Sprachforscher angeschlossen, die jedoch meistens in einigen Punkten von ihm abweichen (insbesondere hat seine langage nicht allgemeine Billigung gefunden). Heutzutage ist es durchaus nicht mehr selten, dass deutsche Sprachforscher einerseits von dem Sprechen und andererseits von der Sprache, englische von speech und language (z. B. A l a n H. G a r d i n e r: The theory of speech and language, Oxford, I932), finnische von puhe und kieli usf. sprechen. Wir wollen hier nicht die ohne Zweifel etwas verwirrte und verschiedenen Auslegungen ausgesetzte Darstellung, die S a u s s u r e eingeführt hat, zu erklären beginnen, und ebenfalls nicht die in einem gewissen Masse voneinander abweichenden Definitionen6). Der Kern jener in letzter Zeit vorgetragenen Ansichten ist unserer Meinung nach im allgemeinen der, dass man unterscheidend betont, dass alles, was zur Sprechtätigkeit gehört, das Sprechen bildet, wogegen die Sprache ein Zeichensystem sein soll, oft wird auch das Wort Normensystem erwähnt, dessen Verhältnis zum Sprechen das gleiche sein soll, wie das des Morse-Code zum Tele-

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6) Dies dürfte nämlich die Geduld des Lesers vielleicht zu stark in Anspruch nehmen. In den geführten Diskussionen herrscht wenigstens zuweilen ein recht befremdender Geist. Z. B. schreibt L o r e n z M o r s b a c h, Sprache, Satz, Syntax, Stil. Anglia, Bd. LVI (I932) S. 23 ff.: „Die Sprache erhebt den Menschen über das Tier. Sie ist, wenn auch oft nur unvollkommen, der Ausdruck des menschlichen Geistes und Seelenzustands. Sie erfüllt hohe und niedere Zwecke... Sie ist Trost und Hilfe, Kampf und Abwehr. Sie ist Gegenwart und Zukunft, Erfüllung und Hoffnung. Sie trägt die Vergangenheit und gibt die Toten dem Leben wieder. Sie ist das köstlichste Gut eines Volkes, der unverlierbare Hort der Menschheit.— Es ist nicht leicht, das Wesen der Sprache in knappen Worten zusammenzufalIen. H. D e m p e (Was ist die Sprache?, I930, S. I08) formuliert so: ,Sprache ist lautliche (oder lautbegründete) Darstellung intentionaler Sinngebilde.' Das sagt mir zu wenig. Vielleicht empfiehlt sich das Folgende: Sprache ist die auf sinnvoller Lautgebung ruhende und andern verständliche Kundgabe menschlichen Denkens, Fühlens und Wollens."

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graphieren oder das des Notensystems zum Musizieren. Desgleichen ist man der Ansicht, dass das Sprechen von dem einzelnen Individuum abhängt, während dagegen die Sprache gleichsam ein über ihm stehendes, von ihm unabhängiges Gebilde darstellt7).

Gedanken vorstehender Art haben auch scharfe Entgegnungen herausgefordert. Die interessantesten Beiträge zu der geführten Diskussion enthält das bereits früher erwähnte Werk von O. J e s p e r s e n, Mankind, nation and individual from a linguistic point of view (Oslo I925) in seinem ersten Kapitel Speech and language.

Bei der Durchführung seiner Kritik berührt J e s p e r s e n allerdings nicht die wunde Stelle der Sache, aber er bemerkt trotzdem zunächst sehr richtig, dass die Ansicht, das Sprechen sei vom Individuum abhängig, während die Sprache dagegen Gemeingut und von ihm unabhängig sei, offensichtlich Fehlerhaftes enthalten müsse. Wenn wir von der ,komplizierten' Terminologie Abstand nehmen, erhalten wir die einfache Wahrheit, dass jede Erscheinung zuerst in Gebrauch des Individuums gestanden haben muss, bevor sie Allgemeingut werden kann. Weiter ist zu bemerken, dass die Gemeinschaft aus lauter Individuen besteht, und dass unter diesen Umständen die Gemeinschaft (wenigstens in diesem Falle) nichts anderes enthalten kann, als was die Individuen enthalten, also keine irgendwie über den Individuen schwebende Sprache. J e s p e r s e n ist der Ansicht, dass das Reden von einer derartigen über den Individuen stehenden Sprache ein Wiederaufleben der mystischen Volksseele von ehedem sei. Dagegen ist es nach J e s p e r s e n s Meinung in einem gewissen Sinne richtiger, dass die Sprache eine Art Plural des Sprechens sei, ein Plural auf dieselbe Art wie ,many horses' ein Plural von ,one horse' sei, m. a. W. ein Pferd + Pferd No. 2, das von dem estgenannten ein wenig verschieden sei, + Pferd No. 3, das wieder etwas abweichender Art sei, usf. (Vgl. Jespersen, 1. c. S. I9—20.)

Aber J e s p e r s e n denkt, dass sich hinter der Kontrastannahme von S a u s s u r e s langue-parole noch etwas anderes verbergen könnte, nämlich eine neue Dualität, die Unterscheidung zwischen der

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7) Z. B. trägt H. P a I m e r in Memorandum on Problems of English Teaching, Tokyo I924, nach Jespersen (o. c. S. I4 ff.) die Sache wie folgt vor: „That heterogeneous and complex subject vaguely alluded to under the general term ,language' is in reality two different and incommensurable subjects. First we have (A) the sum of the mental and physical activities involved when one person communicates to another (by gesture, articulation or by written signs) any given concept (i. e. thought, notion or emotion). This Palmer calls speech. Next we have (B) the sum of the conventions adopted and systematized by a socialized mass of users of A in order to ensure common intelligibility: this is language. A, then, is a set of personal activities, whereas B is a set of conventions, a code. A commercial code is not the same thing as the acts involved when transmitting a message by such a code; the code of Marine Signals is not the same thing as the acts involved in hoisting the flags; the musical code of notes and rests is not the same thing as the acts performed by the musician; the code represented by a Railway Time Table is not the same thing as the acts performed by one who travels by train. In short, an act (or activity) is not the same thing as the code in accordance with which it is executed."

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aktuellen und der potentiellen Sprache (vgl. J e s p e r s e n 1. c. S. 20 bis 22).

Zu dem die Individual- und Kollektivsprache betreffenden Teil aus den angeführten Abhandlungen J e s p e r s e n s möchten wir anmerken, dass man wohl kaum den Begriff Pferd für ein Pferd halten kann, das sich von allen anderen Pferden unterscheidet, „wenn wir es genau betrachten" (s. J e s p e r s e n 1. c. S. 9—20). Der Begriff Pferd ist etwas wesentlich anderes. Ebenso bezweifeln wir, ob die Kollektivsprache, auf J e s p e r s e n s Weise verstanden, etwas sicher Nichtexistierendes ist. Gegen J e s p e r s e n s Darstellung der potentiellen und aktuellen Sprache wiederum muss man einwenden, dass seine sogenannten potentiellen Wörter bestimmt keine Wörter sind (mag das Wort wie auch immer definiert sein), ebensowenig wie z. B. die zukünftigen Kompositionen eines dreijährigen angehenden Komponisten schon heute Kompositionen sind. Ferner muss auch noch auf das unentwirrbare Durcheinander aufmerksam gemacht werden, das in der Definition der Sprache angerichtet wird, wenn man zu ihr auch eine Reihe verschiedener psychischer und auch gar nicht zur Sache gehöriger physischer Prozesse („das Sprechen ist eine Tätigkeit") rechnet. Ausserdem ist es als ein Fehler anzusehen, dass die Definition beinahe durchgängig nur an der sogenannten Phonemsprache vollzogen wird, die man für ,die Sprache' ansieht.

Um neben J e s p e r s e n noch einen anderen Sprachforscher anzuführen, der abweichende Ansichten zu der gleichen Sache vorträgt, wollen wir kurz jene Gedanken als für die heutige linguistische Forschung charakteristisch darlegen, die 0. Funke veröffentlicht hat (in Englische Studien Bd. 62, Grundfragen der Bedeutungslehre, Leipzig I928, S. IO ff. u. Studien zur Geschichte der Sprachphilosophie, Bern I928, S. 74 ff.). Nach einigen Bemerkungen über „die Sprache als aktuelle Rede" geht F u n k e zur Behandlung der von d e S a u s s u r e vertretenen Auffassung über. Er hebt u. a. folgendes hervor. Die Auffassung der Sprache als ein System, ein Gebilde, habe in gewisser Hinsicht viel Sinn, „denn wenn man die Gesamtheit der Ausdrucksmittel einer Sprache ins Auge fasst, so bilden sie in der Tat zueinander so etwas, wie Teile eines Ganzen, . . . Sprache in diesem Sinne ist, kurz gelagt, das Produkt aktuellen Sprechens". F u n k e kommt sodann auf die d e S a u s s u r esche Auffassung „des Wortes Sprache" als aktuelle Rede der einzelnen einerseits und als potentieller Besitz der Sprachgenossenschaft andererseits zu sprechen und

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behauptet, daß „Sprechen und Sprache nicht etwas ist, was irgendwie außerhalb psychisch begabter Wesen ein Dasein führte".

Wie man bemerkt, erinnern F u n k e s Gedanken bis zu einem gewissen Grade an die Betrachtungen J e s p e r s e n s (potentielle und aktuelle Sprache), und unsere oben gemachten Einwendungen betreffen also auch sie. Außerdem verweisen wir noch besonders auf das, was wir im vorstehenden über das Verhältnis zwischen den zur Sprache gehörigen Zeichen und dem Menschen vorgetragen haben. Es kann kaum ein Zweifel darüber bestehen, daß die Sprache in ihrer Gesamtheit, entgegen der Behauptung F u n k e s, außerhalb des Menschen steht. Weiter können wir es nicht für wahrscheinlich halten, daß die substantivische Form des Wortes Sprache, wie F u n k e in den oben angeführten Schriften annimmt, irgendwie ungünstig und besonders irreführend bei der Bildung des Begriffes Sprache gewirkt habe. Das Wort Tisch z. B. kann irgendein bestimmtes Möbelstück bezeichnen, aber daneben auch die Klasse jener Möbelstücke. Wenn die substantivische Form des Wortes Sprache irreführend wäre, wäre u. E. erst ausdrücklich zu zeigen, daß man Entsprechendes wie bei dem Beispiel Tisch im Falle des Wortes Sprache überhaupt nicht denken kann. Nur falls es sich so verhalten würde, könnte die substantivische Form des Wortes Sprache eine irreführende Eigenschaft in sich bergen.

Trotz aller unserer Einwendungen verhalten wir uns zustimmend zu der Bestrebung der von uns angeführten Kritiker, etwas wie das ,objektive Gebilde', die überindividuelle ,Wesenheit', als die man auf einigen Seiten die Sprache hat verstehen wollen, aus der Wissenschaft zu beseitigen. Aber diese Zustimmung bedeutet nicht, daß wir uns den Begründungen der Kritiker anschließen könnten, geschweige denn den positiven Definitionsversuchen, die sie unternommen haben.

Auch nach unserer Ansicht ist eine Scheidung zwischen Rede und Sprache möglich, ja sogar notwendig. Aber wir geben diesen Wörtern in der Hauptsache eine andere Bedeutung als die genannten Forscher. Die Scheidung ist deshalb besonders notwendig, weil man in der alltäglichen wissenschaftlichen (nämlich linguistischen) Arbeit dringend genauere Bezeichnungen für einige Gegenstände braucht, die bisher als Sprache bezeichnet worden sind. Wir gehen dabei folgendermaßen vor.

23. Wie wir aus dem Obigen wissen (§ I6) umfaßt die Klasse {Wort} als Elemente alle Wörter von nulltem Typus, nicht nur die bis jetzt ausgesprochenen oder niedergeschriebenen, sondern auch alle

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in der Zukunft möglicherweise auftretenden Grapheme und Phoneme. Diese Klasse wird durch die logische Regel bestimmt, derzufolge man unbegrenzt neue Wörter von nulltem Typus schaffen kann. Es ist also natürlich, daß in diese Klasse unendlich viele Elemente gehören. Das Vorhergesagte noch einmal wiederholend erwähnen wir, daß die Elemente dieser Klasse, die meistens Produkte einer Sprech- oder Schreibtätigkeit sind, sich in ihrer Gesamtheit außerhalb von uns befinden, ganz in derselben Meinung wie sich die Schreibmaschinen, die Produkte der mechanischen Arbeit des Menschen sind, außerhalb des Menschen befinden. Nun kann man sagen, daß diese Gegebenheit von Moment zu Moment anwachsende Kollektionen bilde (dies im Sinne C a r n a p s, f. Der logische Aufbau der Welt. S. 48), die Kollektion der Phoneme und die Kollektion der Grapheme oder, mit den gewöhnlichen Bezeichnungen benannt, die Rede und die Schrift. Man könnte der Ansicht sein, daß hierdurch die Bedeutung des von der Sprachforschung in Gebrauch genommenen Fachwortes ,Rede' definiert sei. Bemerkenswert ist nur, daß die herkömmliche Darstellung der Rede durch eine entsprechende Darstellung der Schrift ergänzt werden muß, die eine zweite, neben die Rede zu stellende Kollektion ist. Diese Kollektionen bezeichnen wir durch die Elemente der Klassen Rede I t und Schrift I t.

24. Die Klasse {Wort} kann man auf viele Arten ordnen, aber es ist interessant zu bemerken, daß sie auf eine gewisse Art geordnet oft den alltäglichen und vielfach auch in der Sprachwissenschaft gebräuchlichen Terminus Sprache ergibt. Wir können denken, daß die Klasse {Wort} u. a. so geordnet ist, daß ihre Elemente in einer solchen Anordnung stehen, wie sie in dem vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuum entstanden sind und entstehen werden. Hierbei hat jedes Element dieser geordneten Klasse (jedes Graphem oder Phonem) seine bestimmte Stelle. Jedes Wort von nulltem Typus hat nun feinen unmittelbaren Vorgänger und Nachfolger. Wenn in einer so geordneten Klasse a < b und b < c ist, so ist a < c. Wenn weiter a < b ist, so kann nicht b < a sein. Schließlich kann auch kein Element vor ,sich selbst' stehen. So erfüllen also die Elemente dieser Klasse die drei Eigenschaften der Anordnungsbeziehung: Transitivität, Asymmetrie und Irreflexivität. Die auf diese Art geordnete Klasse bezeichnen wir durch das Symbol [Wort]t, wobei der Index t zeigen soll, daß die Ordnung topologisch auf Grund der erwähnten Gedanken als Anordnungsregel vollzogen ist. Die Wörter von nulltem Typus sind also hier in einem vierdimensionalen raum-zeitlichen Kontinuum in der

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Anordnung geordnet, in der sie tatsächlich produziert sind und produziert werden. Aus dem System [Wort] t scheiden wir unter Beibehaltung ihrer Anordnung innerhalb dieses Systems alle diejenigen Elemente aus, von denen man sagen kann, daß sie irgendeiner syntaktischen Regel folgen, und bilden von diesen Elementen ein Teilsystem, das wir durch [Wort] s bezeichnen. Der Index  s bezeichnet, daß die Elemente nach syntaktischen Regeln geordnet sind. Die Elemente, die zum System [Wort] t, aber nicht zum System [Wort] s gehören, sind solche, die keine bestimmte Bedeutung haben können (z. B. in phonetischen oder in kalligraphischen Übungen). Die Elemente des Systems [Wort] s haben je éine und nur éine Bedeutung, aber die Gegenstände als Bedeutungen haben in der Regel je viele Wörter von nulltem Typus als ihre Zeichen. Die Zeichenrelation ist somit mehreindeutig (vgl. § II). Auf dieser Tatsache beruht u. a. die ,Übersetzung' von Elementen einer Wortklasse in Elemente einer anderen Wortklasse. Das System [Wort] s enthält somit die beiden notwendigen und hinreichenden Kennzeichen, die die Sprache charakterisieren, nämlich daß ihr Wörter von nulltem Typus angehören, und daß diese irgendwelchen syntaktischen Regeln folgen und dadurch etwas bezeichnen können. Danach muß also die Definition der Sprache lauten:

die Sprache = Df  [Worts.


25. In der Linguistik sind einige Teilsysteme des Systems [Wort] s von besonderer Wichtigkeit, vor allem ist es begründet, die Aufmerksamkeit auf gewisse Teilsysteme zu lenken, in bezug auf welche diese aus für die wissenschaftliche Praxis bedeutsame Wichtigkeit am klarsten ist. Jede von diesen Einteilungen in irgendwelche Teilsysteme wird auf Grund eines linguistischen Begriffs als Einteilungsgrund vollzogen.

Das erste und das praktisch wichtigste der von uns abgetrennten Teilsysteme bilden die verschiedenen Sprachen (also Englisch, Deutsch, Französisch, Novial usw.). Auch hierbei geht das Einteilen der Teilsysteme auf Grund der Verschiedenheiten der syntaktischen Regeln und des Wortbestandes vor sich. M. a. W. aus dem System [Wort] s werden die Elemente ausgeschaltet, die sich nach derselben Syntax richten. Auf diese Art erhalten wir von dem System [Wort] s die Teilsysteme [ein englisches Wort] s1, [ein deutsches Wort] s2, [ein französisches Wort] s3 usw., welche Symbole die englische Sprache, die deutsche Sprache, die französische Sprache usw. definieren. Sobald

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wir diese Einteilung vollzogen haben, ist es möglich zu sagen, in welche Sprache z. B. die Elemente der geordneten Klasse ,on I t' gehören, die in der und der Syntax vorkommen. Diese Elemente der Klasse on I t haben ihre bestimmte Stelle wenigstens in den folgenden topologischen Gebieten des Systems [Wort] s: im Englischen (on ,auf'), im Russischen (on8) ,er'), im Finnischen (on ,ist'), im Estnischen (on ,ist'), im Französischen (on ,man') usw.

26. Gewöhnlich wird jedoch die Einteilung des Systems [Wort] s in verschiedene Sprachen nicht nur nach der Verschiedenheit der syntaktischen Regeln, sondern auch auf Grund des Wortbestandes vollzogen. Um den Wortbestand konstitutionstheoretisch zu bestimmen, wollen wir bei der logischen Einteilung des Systems [Wort] s als Einteilungsgrund den Begriff {Wort} wählen. Dadurch erhalten wir die verschiedenen Wörter von erstem Typus (z. B. Tisch t I t, Wort t I t, Wortes t I t usw.) nach dem Index  t geordnet. Diese Wortklassen kann man weiter als Elemente der Klasse aller Teilsysteme des Systems [Wort] t, {[Wort] t Teilsystem}=CI' [Wort] t, lexikographisch ordnen, so daß das allgemeine lexikographische System [[Wort] t Wort  t I]l entsteht, wobei der Index  I bezeichnet, daß die Elemente dieses Systems von zweitem Typus gerade lexikographisch geordnet sind, und wobei das Graphem ,Wort t I' kennzeichnet, daß nur diejenigen Teilsysteme des Systems [Wort] t in Betracht gezogen worden sind, die Wörter von erstem Typus sind. Die Klasse {[Wort] t Teilsystem} selbst, der alle Teilsysteme des Systems [Wort] t als Elemente angehören, kann man nicht lexikographisch ordnen, was daraus folgt, daß die Klasse {Wort} nicht lexikographisch zu ordnen ist. Dies heißt also einerseits, daß im System [[Wort] t Teilsystem] n der Index u. a. nie der Index  I sein kann, und andererseits, daß ein lexikographisches System immer wenigstens ein System von zweitem Typus sein muß. Der Index  n bezeichnet hier, daß die Klasse {[Wort] t Teilsystem} irgendwie geordnet sein soll. Einige Teilklassen der Klasse {[Wort] t Teilsystem} lassen sich dagegen lexikographisch ordnen, wie gerade das erwähnte System [[Wort] t Wort t I] l. Wenn man nun den Wortbestand einer gegebenen Sprache konstituieren will, so muß man zunächst z. B. die Klasse {ein deutsches Wort} bilden, zu welcher als Elemente diejenigen Wörter von nulltem Typus gehören, von denen man empirisch sagen kann, daß jedes einzeln ein

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8) Die Art der Buchstabenschrift (russische, griechische, Fraktur-, Antiqua-Schrift usw.) ist hier unwesentlich. Es gibt ja z. B. auch runde und eckige, kleine und große Tische, die alle derselben Klasse angehören, nämlich der Klasse {Tisch}.


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deutsches Wort sei. Die Klasse {ein deutsches Wort} kann man wieder nicht lexikographisch ordnen. Doch können wir sie nach dem Index t ordnen und erhalten dadurch das System [ein deutsches Wort] t, welches ein Teilsystem des Systems [Wort] t ist. Einige Teilsysteme des Systems [ein deutsches Wort] t bilden Wörter von erstem Typus, welche wir nach dem Index l ordnen wollen, um somit das System [[ein deutsches Wort] t Wort t I] l zu erhalten. Man kann auch einen anderen Weg wählen. Aus dem System [Wort] t wollen wir nur diejenigen Wörter von erstem Typus auswählen, von deren Elementen man empirisch sagen kann, daß sie deutsche Wörter seien, und aus ihnen das System [[Wort] t ein deutsches Wort] l bilden. Dieses System ist umfangreicher als das System [[ein deutsches Wort] t Wort t I] l . Also: [[ein deutsches Wort] t Wort t I] C [[Wort] t ein deutsches Wort] l C [[Wort] t Wort t I] l .

Das Symbol [[ein deutsches Wort] t Wort t I] l definiert den deutschen Wortbestand in der lexikographischen Ordnung. Auf Grund des Wortbestandes und derjenigen syntaktischen Regeln, die wir oben mit dem Index s2 charakterisiert haben, wird also die Konstitution der deutschen Sprache, wie bereits im vorstehenden dargelegt, exakt durch das Symbol [ein deutsches Wort] s2 definiert.

27. Meistens genügt wohl schon die verschiedene Syntax allein als Grund der Einteilung, aber wir können als Möglichkeit annehmen, daß es zwei verschiedene Sprachen gäbe, die einen völlig verschiedenen Wortbestand aufzuweisen hätten, aber eine völlig gleiche Syntax. Man würde sie als zwei verschiedene Sprachen ansehen, weil die diese Sprachen Sprechenden einander nicht verstehen würden. Aus diesem Grunde muß auch der Wortbestand bei der Einteilung des Systems [Wort] s in die verschiedenen Sprachen in Betracht gezogen werden. Aber im allgemeinen ist es nicht nötig, lexikographische Anordnungen zu treffen, um diejenigen Teilsysteme konstitutionstheoretisch zu bilden, welche die bestehenden verschiedenen Sprachen definieren. Für den Fall, daß wir — dies sei nebenbei bemerkt — die morphologischen Regeln, die den Wortbestand einer Sprache bestimmen, und außerdem ihre Syntax kennen, besteht die Möglichkeit, diese Sprache fehlerlos zu benutzen (ohne auch nur die Bedeutung eines einzigen Wortes dieser Sprache zu kennen). Wenn wir z. B. wissen, daß es in einer gewissen Sprache u. a. folgende mögliche Wortmengen gibt: der I t, Federhalter I t, liegt I t, auf I t, dem I t, Tisch I t sowie auch I t, und uns ferner einige syntaktische Umstände bekannt sind, von denen nur der aufgeführt sein möge, daß die Elemente der

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Klasse auch I t allen Nomina oder Verben von nulltem Typus vorangehen oder nachfolgen können, so können wir einige fehlerlose deutschsprachige Sätze formen: auch der Federhalter liegt auf dem Tisch, der Federhalter liegt auch auf dem Tisch, der Federhalter liegt auf dem Tisch auch.

28. Gewisse gegebene morphologische und syntaktische Umstände bilden die Regel, die alle gegenwärtigen Elemente des Systems [ein englisches Wort] s bestimmt, und soweit sich die Regel nicht verändert, auch die zukünftigen Elemente. Auf prinzipiell die gleiche Art werden die einzelnen Sprachen in die verschiedenen Dialekte eingeteilt und ferner in die verschiedenen historischen Sprachformen (wie z. B. die urgermanische, gemeinnordische usw.). In der Sprache, also in dem System [Wort] s, erscheinen die Elemente der erwähnten Teilsysteme ,topologisch' als ein ziemlich einheitliches raum-zeitliches Gebiet. Wenn man genügende Kennzeichen, lexikographische und syntaktische Regeln, nicht hat angeben können oder sie in allen Einzelheiten nicht hat angeben wollen, so liegt der Fall oft so, daß die Elemente auch mehreren Teilsystemen angehören können; die verschiedenen Sprachen sind also nicht elementefremd zueinander.

29. Das System [Wort] s lässt sich noch nach anderen linguistischen Begriffen als Einteilungsgrund in verschiedene Teilsysteme einteilen, aber wir wollen diese Systeme besonders deshalb hier nicht näher behandeln, weil sie hauptsächlich nur von linguistischem Interesse sind. Nur darauf wollen wir noch hinweisen, daß sich z. B. nach dem Begriff {{Wort}} (§ I6) die Paradigmen erzeugen lassen. Nach diesem Einteilungsgrund bilden diejenigen Teilsysteme ein einheitliches Gebiet, die Elemente irgendeines Wortes von zweitem Typus sind (z. B. Tisch 2 t, Wort 2 t). Ein Wort von zweitem Typus bestimmt ein einheitliches Gebiet des Systems [Wort] s, welches eine geordnete Klasse von erstem Typus ist und deshalb einige Wörter von erstem Typus als Teilsysteme enthält. Ein dadurch bestimmtes Gebiet ist der Bestand eines Paradigmas. Wenn wir diesen Bestand z. B. auf folgende Weise ordnen:

A = [ . . . Tisch o t, Tisch o t, . . .; . . . Tisches o t, Tisches o t, . . .; . . . ],


so erhalten wir ein Paradigma in gewöhnlicher Ordnung. Einige bestimmte Teilsysteme des Paradigmas sind die Elemente eines Wortes von zweitem Typus. Die Paradigmen sind zuweilen nicht elementefremd zueinander.

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30. Das oben Gesagte kann man folgendermaßen zusammenfassen: Es gibt zwei notwendige und hinreichende Eigenschaften, die das System der Sprache zum Symbolisieren brauchbar machen. Das ist I.), daß in das System ,Sprache' solche Elemente gehören, die in einer Zeichenrelation als Vorderglieder stehen können, also Wörter von nulltem Typus, und 2.), daß die Elemente des Systems zueinander in einer solchen Ordnung stehen, wie sie von den syntaktischen Regeln bestimmt wird, also daß sie syntaktisch geordnet sind. Diese beiden Eigenschaftsforderungen befriedigt unsere Definition der Sprache, denn dem System [Wort] s angehören als Elemente alle Wörter von nulltem Typus, und es ist durch die Syntax geordnet. M. a. W. die Wörter von nulltem Typus sind nach den syntaktischen Regeln in ein vierdimensonales Kontinuum geordnet. Die dadurch entstehende Anordnung ist zugleich keine andere als diejenige, derzufolge die Wörter von nulltem Typus tatsächlich produziert worden sind oder produziert werden. Das System [Wort] s verdeutlicht außerdem, wie man von der Sprache zu erwarten hat, daß von ihr als ihre Teilsysteme alle Wörter von erstem Typus, alle Bestandteile der Paradigmen, alle Sätze von erstem Typus und alle Sprachen samt Dialekten ableitbar sind.

31. Man könnte vielleicht auf den Gedanken kommen, daß auch z. B. die Wörter von zweitem Typus und andere linguistische Begriffe von höherem als erstem Typus in der Sprache als irgendwelche Teile enthalten seien. Es ist aber leicht einzusehen, daß solche Begriffe nur wissenschaftliche Konstruktionen sind, durch welche das System Sprache logisch beherrscht wird. Sie sind nicht mehr Teile der Sprache. Auch die Systeme, die sie als Teile enthalten, können keine Sprache sein, denn die Klasse {[Wort] s Teilsystem} und das System [[Wort] s Teilsystem] n haben keine Elemente, die als Vorderglieder in einer Zeichenrelation stehen könnten. Ihre Elemente kann man nicht schreiben oder aussprechen, sondern nur durch einige Wörter von nulltem Typus bezeichnen. Keinem System von zweitem Typus kann natürlich ein Wort von nulltem Typus als Element angehören, eine Eigenschaft, welche die notwendige Eigenschaft der Sprache gerade kontradiktorisch verneint. Daraus folgt, daß die Sprache kein System von höherem als erstem Typus sein kann. Sie ist ein System von erstem Typus und wird, wie oben gezeigt, durch das Symbol [Wort] s definiert.

32. In einen Zusammenhang mit der von uns vorgetragenen, logischen Typentheorie der Wörter gerät unwillkürlich und ganz von

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selbst jene philosophische Ansicht, die mit dem Namen Nominalismus bezeichnet wird. Wie bekannt behauptet der Nominalismus in seiner radikalsten Form, daß die Universalien, d. h. die Begriffe, nur Zeichen seien. So erklärt z. B. J. B u r i d a n (Prantl, Geschichte der Logik, IV, S. I6): „Genera et species non sunt nisi termini apud animam existentes vel etiam termini vocales aut scripti", m. a. W. die Nominalisten sind der Ansicht, daß das Allgemeine nichts anderes als ein Wort sei. Wir glauben, daß eine derartige Behauptung nur durch eine Vermengung der Wörter von nulltem und erstem Typus entstanden sein kann. Denn natürlich denken die Nominalisten nicht, daß ein einzelnes Graphem, z. B. in dem Satz ,Sokrates ist ein Mensch' das hier (kursiv) gedruckte Graphem Mensch, die Klasse von Menschen wäre, sondern daß es vielmehr — wenn man konsequent denken würde — eine Klasse von Graphemen und Phonemen ,Mensch' sei, sonst müßten die Nominalisten wohl behaupten, daß es eine unbegrenzte Anzahl von Allgemeinbegriffen Mensch gäbe, oder m. a. W. daß éine Klasse identisch mit zwei Klassen oder mit drei Klassen usw. wäre, denn wir können das Wort Mensch ja wiederholt schreiben oder aussprechen. Aber selbst wenn wir versuchen würden, die Ansichten des Nominalismus auf diese Art zu korrigieren oder, besser gesagt, sie auf die obige Art zu deuten, stösst man doch noch auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Denn mit dem Eingeständnis, daß der Allgemeinbegriff nicht z. B. dasjenige Graphem ist, das jedesmal in dem betreffenden Satze auf dem Papier steht (ein Graphem also von nulltem Typus), hat sich in den Nominalismus wenigstens éine Klasse eingeschlichen, nämlich die Klasse der ,voces', der Grapheme (und Phoneme). Selbstverständlich besteht die Möglichkeit, auch diese auf die obige Art für ein Wort zu erklären, aber dies kann nicht die richtige Lösung des Problems sein. Angenommen wir haben z. B. den Satz ,, in dessen Verständnis man nach dem Nominalismus soweit vorgedrungen ist, daß man die Klasse, von der im Endteil des Satzes die Rede ist, als Mensch I t betrachtet. Wir fragen nun, was denn diese Klasse eigentlich ist. Nach dem aus dem Vorstehenden bekannten, vom Nominalismus bevorzugten Verfahren muss man antworten, daß auch sie ein Zeichen sei. Also zeichnen wir sie, sagen wir, mit dem Zeichen Mensch I t o t, aber da wir wiederum darüber einer Meinung sein können, daß es nicht Absicht des Nominalismus sein könne zu behaupten, daß der betreffende Allgemeinbegriff gerade das hier abgedruckte Zeichen wäre, so steht erneut eine Klasse Mensch I t2 in Frage (also die Klasse aller Grapheme

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'Mensch I t'). Wieder können wir nun nachforschen, was diese Klasse denn ist, und zu derselben Antwort gelangen wie vorhin, und so fort bis ins Unendliche. Immer bleibt also wenigstens je eine Klasse, für die der Nominalismus keine befriedigende Erklärung zu geben weiß. Beim Reduzieren der sogenannten Allgemeinbegriffe (,Hund überhaupt', ,Tisch überhaupt' usf.) auf Wörter verbleibt somit trotzdem immer je ein Allgemeinbegriff, nämlich die Wörter im allgemeinen, außerhalb dieser Reduktion und zwar ein derartiger, daß sein Einpassen in das beschriebene System unmöglich erscheint. Wenn wir uns gegen diese Einsicht verschließen, so räumen wir den Wörtern eine ganz eigentümliche Sonderstellung ein. Wörter überhaupt, d. h. die Klassen der Wörter von nulltem Typus, braucht man danach gar nicht in Betracht zu ziehen, und es ist auch nicht erlaubt, sie näher zu untersuchen.

33. Wir können die obigen Gedanken folgendermaßen zusammenfassen. Ein Graphem ,Mensch' werde niedergeschrieben. Nach dem Nominalismus kann man nun sagen, daß ein solches Graphem ein Zeichen für einige bestimmte, gleichartige Lebewesen sei, und weiter, daß eine Klasse nur ein Zeichen für einige gleichartige Gegenstände sei. Also das erwähnte Graphem ist identisch mit einer Klasse. In dieser nominalistischen Aussage, derzufolge gesagt werden soll, was eine Klasse sei, werden zwei Klassen vorausgesetzt, nämlich einige gleichartige Grapheme, die sich von allen übrigen Graphemen unterscheiden, und die wir durch Mensch I t bezeichnen, und einige gleichartige Lebewesen, die man auch von anderen Lebewesen unterscheiden kann, und die wir durch {Mensch} bezeichnet haben. Auf Grund der nominalistischen Aussagen kann man den Schluß ziehen, daß ein Element der Klasse Mensch I t identisch mit der Klasse {Mensch} oder die Klasse Mensch I t identisch mit derselben Klasse {Mensch} sei. Dies sind natürlich Unmöglichkeiten. Auch der Nominalist muß also Klassen benutzen, die mindestens keine Zeichen sind. Und diese Klassen kann man durch Zeichen symbolisieren. Wir behaupten natürlich nicht, daß es einen Nominalist gegeben hätte, der ausdrücklich gesagt hätte, daß eine Klasse ein Wort von nulltem Typus oder ein Wort von erstem Typus sei, denn man hat bis jetzt diese Gegenstände nicht genügend unterschieden, geschweige denn bezeichnet. Nachdem man diese Gegenstände durch verschiedene Bezeichnung deutlich unterschieden hat, steht der Nominalist, wenn er sagt, daß die Klasse nur ein Zeichen sei (vgl. R. C a r n a p, Abriß der Logistik, 9 a S. 19), vor der Alternative, die Klasse entweder als ein Zeichen von nulltem

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Typus oder als ein Zeichen von erstem Typus zu betrachten. Wenn der Nominalist behauptet, daß die Klaße ein Zeichen von erstem Typus sei, was bedeutet, daß die Klasse eine andere Klasse sei, so ist dies sinnlos. Wenn er dagegen sagt, daß die Klasse ein Zeichen von nulltem Typus sei, so folgt daraus z. B., daß zu einem einzigen Graphem vielerlei reale Gegenstände, z. B. Tische, als seine Elemente gehören. Beide Alternativen dürften somit den nominalistischen Gedankengang ad absurdum führen.

34. Heutzutage ist der nominalistische Gedankengang wohl meistens in solchen Redewendungen anzutreffen wie ,die Klassen und Relationen sind keine Gegenstände, sie sind nichts als Zeichen'. Es ist leicht zu verstehen, daß mit solchen Redewendungen besonders hervorgehoben wird, daß die Klassen und Relationen keine Individuen in einer ,höheren' oder anderswo befindlichen Welt seien. Daß aber der positive Teil genannter Behauptung zu Recht bestände, und daß die Klassen und Relationen Zeichen wären, ist sehr schwer zu begreifen. Nach der Konstitutionstheorie des Wortes bemerkt man gleich, daß in solchen Redewendungen nie deutlich zutage tritt, was für Zeichen individuen die Klassen eigentlich sind. Wenn eine Klasse oder eineRelation nur ein sogenannter Quasigegenstand wäre, und wenn man zu gleicher Zeit zur Erklärung, was denn diese Quasigegenstände seien, behauptet, daß sie nur Zeichen seien, so gibt es zwei Möglichkeiten: I. Diese Quasigegenstände sind Realitätsgegenstände wie die erwähnten Zeichen, was natürlich ausgeschlossen ist, oder 2.) auch die Zeichen, von denen die Rede ist, sind Quasigegenstände. In diesem Fall aber wird der Quasigegenstand eben mit der zu erklärenden Sache erklärt. In einem solchen Gedankengang wird z. B. der ,Mensch überhaupt', {Mensch}, nicht als Objekt der Logik zugelassen, aber wohl ein ,Wort überhaupt' (z. B. Mensch I t, Hund I t, Tisch I t usw.). Aber wenn man in der Logik nicht von solchen Objekten wie {Mensch} sprechen kann, so kann man wohl auch nicht von Wörtern (z. B. Mensch I t) sprechen, denn die Wörter sind, wie wir eben gesehen haben, wissenschaftlich betrachtet nichts anderes als die übrigen ,Objekte' des Denkens. Die Wörter sind in der intersubjektiven Welt entweder Individuen oder Klassen unter den anderen Individuen, Klassen und Relationen. Es gibt nur éine Art von Objekten der Wissenschaft. Die Wörter bilden keine Ausnahme. Sie sind Objekte der Linguistik. Durch die Definition des Wortes und durch die Wortanalyse des Wortes ,Wort' wird die Wortmetaphysik vermieden, die die Scheinfrage, was die Begriffe eigentlich sind, dadurch zu lösen ver-

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sucht, daß sie diese dem Wesen nach mit den Wörtern von nulltem Typus (oder vielleicht mit denjenigen von erstem Typus) identifiziert. Dadurch wird die Lösung der Frage der Begriffe kaum gefördert.

35. Gemäss unserer Worttheorie können wir wissenschaftlichen Formalismus nicht darin sehen, daß man in einer Art von Linguistik nur die Zeichen analysiert und die Bedeutungen verleugnet, sondern umgekehrt nur darin, daß man die wissenschaftlichen Bedeutungen: Elemente, Klassen, Relationen und Systeme exakt konstituiert. Wenn man einmal von Wörtern von nulltem Typus sprechen kann, so kann man dies ebensogut von den Bedeutungen, und umgekehrt schließt man mit den letzteren gleichzeitig die ersteren aus. Von der ,Form des Wortes' wird ohne Metaphysik, wenn wir von linguistischer Sprachgeschichte und dem Onomatopoetischen absehen, nichts abgeleitet, denn wir können die Grapheme nach Übereinkunft (z. B. in Übersetzungen usw.) ändern, ohne daß die Bedeutungen dadurch verändert würden. Nur aus praktischen Gründen muß gefordert werden, daß die Grapheme und anderen Zeichen möglichst zweckmässig sein sollten. Dies ist die symbolologische Hauptaufgabe der Logistik. (Vgl. J. J ö r g e n s e n: Über die Ziele und Probleme der Logistik, Erkenntnis III, S. 77.)

36. Auch der Begriff der sogenannten unvollständigen Symbole hat einige Berührungspunkte mit unserer Auffassung von den Wörtern und der Hierarchie ihrer logischen Typen aufzuweisen. Wir können uns zwar in diesem Zusammenhang keinesfalls näher mit diesem Problem befassen, aber einige kleine Hinweise dürften sich aus dem Obigen ohne weitere Schwierigkeiten ergeben.

37. Von den unvollständigen Symbolen wird u. a. behauptet, daß „sie nur in Verbindung mit anderen Zeichen" eine Bedeutung hätten (vgl. z. B. C a r n a p, Der logische Aufbau, § 27). Laut dem Vorhergesagten (§ 24) müssen wir dies wohl so auslegen, daß einzelne in eine bestimmte Wortklasse gehörende Grapheme (oder Phoneme) nur in einer in gewisser Hinsicht günstigen Umgebung, nämlich wenn sie unter anderen Zeichen stehen, verstanden werden können.

Aber nach unserer Ansicht ist dies für die Begründung der genannten Einteilung doch ein ziemlich zweifelhaftes Merkmal, denn unserer Meinung nach trifft es auf alle Zeichen zu, von welcher Art diese auch immer sein mögen. Z. B. weiß man wohl von einem Element der Klasse Fichte I t ohne irgendeinen rationellen Zusammenhang nicht, was es bezeichnet. Aber wenn ein Element dieser Klasse auf

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einem an einem Baum befindlichen Schild steht, so weiß man z. B., daß es diesen Baum bezeichnet, oder man versteht die Gesamtheit als einen Satz: dieser Baum ist eine Fichte. Wenn ein solches Element dagegen auf einem Schild steht, das an einer Wohnungstür befestigt ist, so bezeichnet es etwas ganz anderes, und die Gesamtheit wird etwa so verstanden: hier wohnt ein Mensch mit dem Namen Fichte. Im letzteren Fall, wenn also die Umgebung eine ganz besondere ist, ist ein Element der Klasse Fichte I t ein sogenannter ,Eigenname', und im ersteren Fall vielleicht ein sogenanntes ,ungesättigtes Zeichen'. In beiden Fällen aber ist die Umgebung, in der die genannten Zeichen sich befinden, recht bedeutungsvoll. Wir halten es für sehr wahrscheinlich, daß auch die sogenannten vollständigen Symbole in Verbindung mit anderen Zeichen oder sonst in einer rationellen Umgebung stehen müssen, um etwas bezeichnen zu können.

38. Die Zeichen von nulltem Typus können nur in einem System, wie in einer Sprache oder in einem Symbolsystem, ihre eigenen bestimmten Bedeutungen haben. Die Elemente einer ungeordneten Klasse {Wort} oder Tisch I t werden ja korrekterweise nur morphologisch, ohne Bedeutung, erfasst. Z. B. kann man von den Elementen der ungeordneten Klasse Sokrates I t nicht sagen, was sie bezeichnen. Denn wenn man sich dieselbe Klasse in der Sprache [Wort] s geordnet vorstellt, so haben ihre Elemente sehr verschiedene Bedeutungen (z. B. ein Philosoph als ,Individuum' in der intersubjektiven Welt, Platons Sokrates als ein Philosoph der subjektiven Welt, ein Buch entweder von nulltem oder von erstem Typus, ein Graphem ,Sokrates', Sokrates I t, Sokrates 2 t, ein anderer Mensch in der intersubjektiven Welt, den man den Sokrates seiner Zeit nennt usw.). Unabhängig davon, daß die Elemente des in der Sprache geordneten Wortes von erstem Typus verschiedene Bedeutungen haben, muß man sagen, daß es überhaupt sinnlos wäre, wenn man den Elementen eines ungeordneten Wortes von erstem Typus, die also ohne Zusammenhang verstanden werden, Bedeutungen zuschreiben wollte, was tatsächlich bedeuten würde, daß die Grapheme auf mystische Weise in sich Bedeutungen enthielten.

Es erscheint also wahrscheinlich, daß man dieses Merkmal, nämlich das In-einer-Wortverbindung-stehen, nicht für das entscheidende halten kann, wenn man die Symbole in vollständige und unvollständige einteilen will.

39. Von den unvollständigen Symbolen wird aber ferner behauptet, daß sie überhaupt nichts oder höchstens nur etwas Unbestimmtes

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bezeichneten (vgl. C a r n a p, Der logische Aufbau, § 27, oder R u s s e l l, PM I, S. 66 ff.). Wenn die erste Alternative als Nominalismus verstanden werden muß, so wäre hier auf die oben vorgetragene Widerlegung desselben zu verweisen.

Nach ihr kommt die nominalistische Auffassung, die die Bedeutungen der unvollständigen Symbole überhaupt verneint, schon deshalb nicht bei der Einteilung der vollständigen und unvollständigen Symbole in Frage, weil die unvollständigen Symbole als ,materialisierte' Begriffe durch die vollständigen Symbole und — wenn man so will — auch durch Eigennamen bezeichnet werden können. Die unvollständigen Symbole würden dann Bedeutungen sein, und alle Zeichen wären vollständig. — Wenn man wiederum ganz konsequent alle Bedeutungen verneinen würde, so gäbe es auch keine Einteilung der Zeichen in vollständige und unvollständige Symbole, denn die vollständigen Symbole sollten im Gegensatz zu den unvollständigen Symbolen gerade etwas Bestimmtes bezeichnen. In diesem Falle würde es auch keine Zeichen mehr geben, denn die Grapheme, mit denen man dann irgendein Schachspiel spielen würde, hätten nichts mit den anderen, sie umgebenden Gegenständen zu tun. Die Welt wäre vollkommen stumm. Diese Überlegungen zeigen, daß jedes Wort von nulltem Typus etwas Bestimmtes bezeichnen muß, und daß man die Zeichen von erstem Typus nicht danach einteilen kann, ob ihre Elemente eine Bedeutung haben oder nicht, oder danach, ob sie isoliert oder in einem Zusammenhang vorkommen. Denn der Fall bleibt ja wohl ausgeschlossen, daß die unvollständigen Symbole irgendwelche Grapheme in kalligraphischen Schreibübungen9) wären.

40. Bei der anderen Alternative, nach der die unvollständigen Symbole etwas Unbestimmtes bezeichnen sollten im Gegensatz zu den vollständigen, haben wir eine Einteilung vor uns, die u. a. in großem Maße an die aus der Linguistik bekannte Einteilung der Wörter in Eigennamen (nomina propria) und Gattungsnamen (nomina appellativa) erinnert (mindestens in der Praxis decken sie einander, wir haben wenigstens nie bemerkt, daß die Eigennamen als unvollständige Symbole angesehen worden wären, oder daß die Gattungsnamen als vollständige Symbole verstanden worden wären, sondern stets umgekehrt.). Sehen wir ganz kurz10) zu, wie diese linguistischen Klassen zu verstehen sind.

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) Die in den kalligraphischen Schreibübungen entstehenden Grapheme gehören meistens zu dem System [Wort] t, aber nicht zum [Wort] s.

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Wie wir aus dem vorigen wissen, können die Wörter von erstem oder höherem Typus nichts bedeuten. Wenn man z. B. zu zeigen hätte, daß die Eigennamen solche Wörter wären, die nur ein bestimmtes, einzelnes Ding bezeichneten, so bedeutete dies, genauer gesagt, daß z. B. alle Elemente der Klasse Schneider I t nur auf eine bestimmte Person bezogen werden könnten. Dies ist nicht der Fall. Nur ein Teil von den Elementen dieser Klasse befriedigt diese Bedingung. Diese bilden nur eine Teilklasse der Klasse Schneider I t. Aber auch wenn wir die Elemente des sogenannten Gattungsnamens Schneider betrachten, bemerken wir, daß viele von ihnen ebenso auf einen und denselben Schneider bezogen sind, und diese Elemente können auch eine Teilklasse in der Klasse Schneider I t bilden. Der Durchschnitt entweder der Klasse Schneider I t und {Eigenname} oder der Klasse Schneider I t und {Gattungsname} ist nicht leer, was der Fall sein sollte, falls die Einteilung der Eigennamen und Gattungsnamen eine Einteilung der Wörter von erstem Typus wäre. Und daß es sich nicht nur in diesem einzelnen Fall so verhält, können wir ziemlich sicher annehmen und können also behaupten, daß es keine Regel gibt, derzufolge irgendein Wort von erstem Typus ein sogenannter Eigenname oder ein sogenannter Gattungsname wäre. Das Großschreiben der sogenannten Eigennamen, wie man es in den meisten Sprachen antrifft, entspringt nur einigen verhältnismässig beliebigen, sozialen Gewohnheiten.

41. Bei der zweiten Alternative, nach der die unvollständigen Symbole etwas Unbestimmtes bezeichnen würden, haben wir uns auch, besonders wenn wir die Begriffe der Variablen und Konstanten in Betracht ziehen, daran zu erinnern, daß — wie schon vielmals betont — alle Wörter von erstem Typus bedeutungslos sind, und daß also, wenn man sagt, einige Zeichen bedeuteten Unbestimmtes, dies so zu verstehen ist, daß die Elemente einiger Wortklassen von erstem Typus etwas Unbestimmtes bezeichnen. Dies aber ist kaum möglich. Jedes Wort von nulltem Typus muß etwas ganz Bestimmtes bezeichnen, wenn es einmal etwas bezeichnet.

Demnach müssen wir sagen, daß es Grapheme gibt, die eindeutig eine einzelne Konstante oder eine einzelne Variable bezeichnen, genau so wie es solche Grapheme gibt, die einen anderen Gegenstand eindeutig bezeichnen. Damit wird das wenig günstige Wort , Unbestimm-

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10) Auf die Behandlung dieser Frage in der linguistischen Literatur, wo viele Theorien über die Verschiedenheit des Eigennnamens und Gattungsnamens aufgestellt worden sind, können wir hier aus Raummangel nicht näher eingehen.

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tes' beseitigt, wodurch die Deutlichkeit der Darstellung zweifellos gewinnt. Gleichzeitig ergeben sich Schwierigkeiten für ein Aufrechterhalten der nach dem genannten Prinzip gemachten Einteilung der Symbole in vollständige und unvollständige, denn alle Zeichen würden ja dann auf dieselbe Weise etwas Bestimmtes bezeichnen. Man kann natürlich die Zeichen von nulltem Typus auch so einteilen, daß nur diejenigen Grapheme eine Klasse bilden, die éine Variable bezeichnen. Aber eine solche Zeichenklasse ist in den heutigen Sprachen und auch in den heutigen Symbolsystemen kein Wort bzw. kein Zeichen des betreffenden Systems, sondern sie hat Elemente von verschiedenen Wörtern bzw. Zeichen, und es gibt keinen Fall, in dem sie alle Elemente eines Wortes bzw. eines Zeichen enthielte. Es ist logisch möglich, daß man solche Zeichenklassen bilden kann, und durch unsere Zeichensymbolik wäre es auch möglich sie durchzuführen. Wenn wir z. B. ein einzelnes Graphem der Klasse Tisch I t bezeichnen wollen, das in einem gegebenen Zusammenhang des Systems [Wort] s vorkommt, so ist es eine Konstante in demselben oder in einem anderen Zusammenhang des Systems [Wort] s, und wir können es z. B. durch ein Element ,Tisch o T' der Klasse ,Tisch I T' bezeichnen, wobei das große ,T' gerade die konstante Bedeutung symboliseren soll. Dann sollen die Elemente der Klasse Tisch o T I t alle in dem letzteren Zusammenhang des Systems [Wort] s miteinander identisch und mit allen anderen Graphemen, die in demselben Zusammenhang vorkommen, nichtidentisch sein. Ein solches Element kann nie ein anderes Element derselben Zeichenklasse bezeichnen. Man kann wieder eine Variable, welche den durch die Klasse Tisch I t definierten Bereich durchläuft, durch die Elemente der Zeichenklasse Tisch 0 t I t bezeichnen. Die Elemente der Klasse Tisch 0 t I t sind ebenfalls solche, die — weil sie nämlich nur eine bestimmte Variabilität bezeichnen — nur miteinander identisch und mit allen anderen Graphemen desselben Zusammenhanges nicht identisch sind. Wenn man ein einzelnes Glied des erwähnten Bereiches isoliert symboliseren will, so kann man es nicht mehr durch die Elemente der Klasse Tisch o t I t bezeichnen, sondern man muß eine neue Zeichenklasse gerade für dies Glied bilden, z. B. Tisch o T 1 I t. Diesen Gedankengang kann man nur relativ verwirklichen, also nur in einem gegebenen Zusammenhang eines Symbolsystems durchführen, dessen Elemente durch ähnliche Regeln geschaffen sind. Es gibt aber, wenigstens bis jetzt, nur so komplizierte Regeln dieser Art, daß solche Bezeichnungsweise bedeutungslos ist. In den Phonemsprachen kann man Ent-

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sprechendes nicht durchführen. Die Forderung, der zufolge z. B. eine bestimmte Variabilität immer nur durch Elemente von ein und derselben Zeichenklasse bezeichnet werden sollte und kein Element derselben Zeichenklasse eine andere Bedeutung bezeichnen können sollte, absolut durchzuführen, wäre nur dann möglich gewesen, wenn von Anbeginn an nur éin vollkommenes Symbolsystem, das nie Verbesserungen benötigt hätte, von allen denkenden Wesen fehlerlos allein und immer benutzt worden wäre. In den heutigen natürlichen Sprachen und in den vorhandenen Symbolsystemen muß man aus dem Zusammenhang erraten, ob eine Variable oder eine Konstante in Frage steht.

42. Der Begriff ,Variable' rührt von dem vorwissenschaftlichen Gemeinten ,Irgendein' her. In der Mathematik und Logik ist der Gedanke näher präzisiert, wie viele andere vorwissenschaftliche Gedanken, z. B. der Begriff ,Zahl'. Was in der Zeichentheorie hinsichtlich des Begriffes der Variable wichtig ist, ist die Auffassung, daß der Begriff der Variable kein Zeichen, sondern eine Bedeutung ist. Nicht die Zeichen, sondern die Bedeutungen werden substituiert. Wenn bei der Substitution ein neues Graphem aus einer anderen Zeichenklasse als derjenigen, deren Grapheme die Variable bezeichnen sollten, benutzt und dabei festgestellt wird, daß die Elemente der neuen Zeichenklasse ein bestimmtes, einzelnes Glied bezeichnen sollen, so ist an die Stelle der Variablen eine Konstante gesetzt worden. Und diese Veränderung der Bedeutungen ist die Substitution.

43. Wir können also behaupten, daß die Variable und die Konstante keine Zeichen von nulltem Typus sind, und daß sie, wenn sie in einer Zeichenrelation vorkommen, immer als Hinterglied in ihr stehen. Oder m. a. W.: die Variable und Konstante sind in bezug auf die Zeichen nur Bedeutungen. Die Einteilung in vollständige und unvollständige Symbole aber auf Grund des Unterschiedes zwischen Variable und Konstante durchzuführen, weil deren Bezeichnungen keine solchen Zeichenklassen bilden, die selbst oder deren Teilklassen Wörter von erstem Typus wären, ist wohl nicht genügend begründet.

Die in Punkt 36—43 den oben dargestellten Tatsachen zur Worttheorie angeschlossenen Bemerkungen dürften genügen, um zu zeigen, daß die Einteilung der Symbole in vollständige und unvollständige als solche nicht mit der logistischen Konstitution der Wörter in Einklang zu bringen ist.

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